Heute sind wir ins Ziel gekommen: Wir haben uns nach harten aber letztlich konstruktiven Gesprächen mit der Regierung auf eine Bildungsreform geeinigt. In zähen Verhandlungen haben wir Erfolge in wichtigen Punkten erzielt, allem voran in der Frage, ob es möglich sein soll, Modellregionen mit einer Gemeinsamen Schule einzurichten. Warum war und ist uns das so wichtig?
Ich habe es als ehemaliger Gymnasialdirektor unzählige Male miterlebt und mitgelitten: Eltern, die mich verzweifelt aber vergeblich um einen Schulplatz für ihr Kind gebeten haben, weinende Kinder oft daneben. Wir wissen es, was die bereits in der Volksschule zu treffende Entscheidung – NMS oder Gymnasium – vielfach bedeutet: Kinder, die wegen des Drucks in der Volksschule Psychopharmaka nehmen, Kinder, die in der Volksschule Nachhilfe benötigen, Kinder und Eltern, die unter Stress stehen.
Nun wird es erstmals nach fast 100 Jahren Blockade möglich, mit der viel zu frühen Trennung von Kindern Schluss zu machen. Vorarlberg ist vorbereitet und will die Modellregion im ganzen Bundesland einrichten. Freilich, es liegt noch ein weiter Weg vor uns, auf dem wir die Strukturen vorbereiten müssen, auf dem wir LehrerInnen aus- und fortbilden müssen, damit sie auf den neuen Unterricht bestmöglich vorbereitet werden. Und wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten, damit Eltern und Lehrende dieser Umwandlung zustimmen.
Die Ermöglichung von Modellregionen ist jedoch bei weitem nicht der einzige Verhandlungserfolg, der uns Grünen gelungen ist:
- In der Bestellung von SchuleiterInnen werden anstatt der Gewerkschaftszentrale in Wien die Personalvertretungen vor Ort mitreden können. Es wird Hearings an den betroffenen Schulen geben und eine Einsicht für die Schulpartner in die Bewerbungsunterlagen der KandidatInnen.
- Mehr Transparenz und Einfluss der Schulpartner auf Entscheidungen der Bildungsdirektionen
- Mischcluster von Bundesschulen mit Pflichtschulen inkl. Berufsschulen werden möglich
- Beim „Chancenindex“, der Geld dorthin bringen soll, wo es am dringendsten gebraucht wird, ist die Finanzierung über diverse Sondertöpfe (Sprachförderung, Integrationstopf II, …) sicher gestellt.
- Sonderpädagogischer Förderbedarf: Antragsrecht der Eltern auf Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, Ausweitung auf andere Fördermaßnahmen, Ausweitung auf SchülerInnen statt Kinder (ermöglicht Maßnahmen bis zum 12. Schuljahr)
- Im März 2014 haben wir die Einrichtung einer Schulombudsstelle beantragt. Die kommt nun nach Vorbild Behindertenanwaltschaft.
- Die Dauer von Schulversuchen wird nicht unnötig beschränkt, wir haben die Verlängerung um zwei Jahre durchgesetzt.
- Die Mittelzuteilung für die Klassenschülerhöchstzahl wird erstmals im Budget und somit dauerhaft gesetzlich normiert. Die Höchstzahl 25 bleibt, außer Schulen wollen das autonom ändern und Ressourcen anders einsetzen.
- Und es wird ein zehntes Schuljahr für außerordentliche SchülerInnen geben.
Klar, es gibt viele Punkte, die noch viel weiter hätten gehen können. Aber was nun mit dem Reformpaket kommt, ist in vielen Belangen besser als das bisherige System. Dennoch werden wir am Ball bleiben, damit die notwendigen Weiterentwicklungen nicht bei dieser Reform stecken bleiben.
Sehr geehrter Herr Walser!
Ich gratuliere zum Abschluss des Bildungspakets! Als überzeugte Anhängerin der Gesamtschule hoffe ich, dass es jetzt endlich zu einer echten, ernstzunehmenden Umsetzung dieses Projekts kommen wird.
In einem Punkt stimme ich aber gar nicht mit Ihnen überein: die Abschaffung der Sonderschulen. Als Leiterin der Kindersozialdienste St. Martin, einer Klosterneuburger Einrichtung, die Kindern, Jugendlichen und deren Eltern Beratung, Diagnostik und Therapie anbietet, habe ich laufend mit Kindern zu tun, die sonderpädagogischen Förderbedarf benötigen. Vielen von ihnen kann mit ensprechender Rücksichtnahme (eben des SPFs) ein guter Schulerfolg in einer „Regelklasse“ ermöglicht werden. Aber es gibt auch Kinder, für die eine Klasse mit 20 oder mehr Kindern einfach eine Überforderung ist. Die dann, z.B. bei autistischen Verhaltensweisen, mit Tics, mit Aggressionen, mit Destruktion oder Verweigerung reagieren. Die sich erst fokussieren können, wenn der Reiz-Pegel in der Umgebung stark abgesenkt ist.
Bei uns gibt es eine Gruppe von „Familien mit einem besonderen Kind“. Da sind Kinder dabei mit Pflegestufen von 3 aufwärts. Sie brauchen Klein- und Kleinstgruppen, spezielles Material zum Lernen, oft Pflegepersonal, viel Ausgleich zum Lernen, und eigentlich Lehrpersonal, das sich bewusst und gern auf diese Kinder einlässt. Aber das wurde – zu meinem Entsetzen – erst vor kurzem abgeschafft, die Ausbildung zur Sonder- und Heilpädagogin gibt es ja nicht mehr. (In unserer Einrichtung arbeiten mehrere dieser sehr kompetenten, einfühlsamen und kreativen Pädagoginnen).
Übrigens Nachmittagsbetreuung und Ferienbetreuung: wir haben vor einigen Jahren als Verein damit angefangen, bewusst eine Ferienbetreuung anzubieten, die nicht inklusiv ist. Erst dadurch hatten die Eltern auch dieser Kinder eine Möglichkeit, ihre Kinder in den Ferien betreuen lassen zu können. Denn in jedem anderen Hort wären sie untergegangen, hätten nicht die Einzelbetreuung gehabt, die manche dieser Kinder benötigen, sie wären nur frustriert gewesen, weil diese Kinder mit dem Tempo der anderen einfach nicht mithalten können. Natürlich ist es gut, wenn behinderte Kinder einfach mittendrin sind in der Schar, aber wenn es darum geht, ein Spiel zu gewinnen, einen Schatz zu suchen, sich selber im Sport an den eigenen Grenzen zu reiben, dann ist es für die „gesunden“ Kinder nicht das primäre Ziel, auch auf die zu schauen, die nicht mithalten können.
So sehr ich davon überzeugt bin, dass die Gesamtschule hergehört, so wichtig finde ich es, dass Kindern mit besonderen Bedürfnissen nicht die besonderen Zuwendungen genommen werden, die sie dringend brauchen. Das ist für mich nur ein verstecktes Sparpaket auf dem Rücken derer, die es besonders schwer haben. (Und natürlich verwehre ich mich dagegen, die Sonderschule als „Abschiebe-Pool“ für Kinder mit Teilleistungsschwächen oder gar mangelnden Deutschkenntnissen zu verwenden.)
Mit freundlichen Grüßen,
Barbara Campman