obergrenzen„Unser komfortables Leben“ können wir mit Grenzschließungen „auf Dauer gewiss nicht sichern.“ Das sagt nicht irgendein realitätsfremder „Gutmensch“, das steht in „Die Welt“, dem Zentralorgan der deutschen Konservativen („Geschlossene Grenzen bringen gar nichts!“): „Das Mittelmeer würde zu einem riesigen Friedhof, Griechenland wäre bald schon ein failing state und Italien schnell wieder instabil.“

Das ist eine schlichte Vorausschau auf künftige Szenarien. Auch in Österreich driftet die öffentliche Meinung zunehmend nach Rechts ab. Unsere Regierung faselt von Obergrenzen, Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz will Mauern an der EU-Außengrenze und meint nonchalant, dies werde „nicht ohne hässliche Bilder gehen“. Aber wer von „Flüchtlingsobergrenzen“ spricht, muss auch klar aussprechen, wie diese zu erreichen sind: Grenzen dicht? Millitär- und Polizeieinheiten mit Schießbefehl? Leichenberge rund um Europa?

Nein: Es geht nicht um hässliche Bilder, es geht um Menschen, die vor und an den Grenzen sterben werden, deren Tod wir in Kauf nehmen, um gleichzeitig ein System aufrecht zu erhalten, das Flucht geradezu provoziert. Vorgestern kamen die Zahlen einer Ungleichheitsstudie zur Vermögensverteilung. Egal, ob diese Zahlen nun im Detail richtig sind oder nicht: Tatsache ist, dass ökonomische Ungleichheit zunimmt. Das ist auch bei uns spürbar und löst – zu Recht – Ängste aus.

Eine Staatengemeinschaft, die nicht einmal willens ist, das notwendige Geld aufzubringen, um das Überleben in den Flüchtlingslagern rund um Syrien zu garantieren und gleichzeitig unglaubliche Summen in den Aufbau von Abschottungs- und Überwachungsstrukturen investiert, hat ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie zugleich von Werten spricht, die Neuankommende bei uns zu respektieren hätten. Bis zur EU-Außengrenze werden jegliche moralische Werte, die da die simple Einhaltung von Menschenrechten bedeuten, außer Kraft gesetzt, innerhalb der Grenzen werden sie zum Maßstab für ein Bleiberecht hochstilisiert. Das kann nur scheitern. Die Rechnung werden nicht nur jene bezahlen, die es nicht bis in die EU schaffen, sondern auch wir.  Das Auseinanderdriften der Gesellschaft, die zunehmende Radikalisierung mit Terror dies- und jenseits der Grenzen, die Etablierung autoritärer Systeme wie wir sie bereits in Ungarn und Polen sehen, sind ein hoher Preis, der zu leisten sein wird.

Die herbeigesehnten einfachen Lösungen gibt es nicht. Aber: „Wer das Flüchtlingsproblem nicht als ein europäisches sieht, belügt sein Publikum“, schreibt „Die Welt“: „Und will nicht zur Kenntnis nehmen, dass dieser Kontinent, der nach so vielen Glaubenskriegen und Schrecken zu einer gelungenen politischen Form gefunden hat, gerade wegen seiner erwiesenen Fähigkeit, Regeln zu etablieren und dabei Vielfalt zu bewahren, dafür prädestiniert ist, Einwanderer zu verkraften.“ Wir brauchen PolitikerInnen, die kühlen Kopf bewahren und ihre Politik nicht nach den Regeln der politischen Hetzer und der Stammtische ausrichten. Hoffen wir, dass diese sich durchsetzen werden.