Und der Geldadel wird halt von der ÖVP vertreten, ob es sich um die Steuerungerechtigkeit zu Lasten der mittleren und niedrigen Einkommen handelt oder um das Schulsystem. Den Schwarzen (Pröll, Spindelegger) schwillt derzeit wieder der bildungspolitische Kamm. Sie glauben nach monatelangem Hin und Her zu wissen, was unsere Kinder brauchen: die Fortführung des jetzigen Schulsystems. Nach zarten Ansatzen einer Breitschaft zur sachlichen Diskussion durch Beatrix Karl oder Christoph Leitl ist nun die Hamburger Abstimmung über die Verlängerung der Volksschule von vier auf sechs Jahre die offensichtliche Ursache für die plötzliche Erkenntnis.
In der Hansestadt ist nämlich am letzten Sonntag – obwohl alle Parteien der Bürgerschaft dafür waren! – die Einführung der sechsjährigen Primarschule bei einer Volksabstimmung gescheitert. Besonders Eltern aus dem bürgerlichen Lager waren gegen die Ablösung des bestehenden Schulsystems. Sehenswert und erhellend ist dieser „Panorama-Beitrag“.
In den reichen Villenvierteln haben 54 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen, in den armen Vororten waren es gerade einmal 27 Prozent. Eine von „Panorama“ befragte Nichtwählerin in einem dieser Vorworte meinte am Wahltag auf den Hinweis der Reporterin, dass deshalb wohl die Reformgegner gewinnen: „Das ist natürlich auch Scheiße!“ Das Resümee der Beitragsgestalter: Gewonnen haben Eltern, die mit Geld und Beziehungen offenbar Klassenkampf von oben nach unten betreiben.
demokratiefähig? Bernd Zeller:
Volksentscheide müssen gerechter werden
Grünen-Vorsitzender Özdemir warnt vor einer „sozialen Unausgeglichenheit von Volksentscheiden“, http://www.welt.de/politik/deutschland/article8555628/Oezdemir-wettert-gegen-Hamburger-Volksentscheid.html .
Das ist dann der Fall, wenn das Volk anders entscheidet, als die legitimen gewählten Volksvertreter vorgesehen haben: „Es bestehe die Gefahr, dass die Begünstigten einer Reform wie in Hamburg‚ sich kaum an solchen Abstimmungen beteiligen‘, während ‚die Gegner besser situiert und besser vernetzt sind und durch ihren Bildungshintergrund besseren Medienzugang haben‘“.
Das heißt, man braucht bei Volksentscheiden das Korrektiv eines demographischen Faktors. Schließlich beteiligen sich die Benachteiligten deshalb so wenig, weil sie gewohnt sind, dass der Staat die Sache macht. Mehr Geld gibt es ja wohl bei längerem gemeinsamen Lernen nicht, deshalb wird die Sache von den bildungsfernen Schichten als trivial erachtet. Auch ist ihnen nicht klar, was sie davon haben sollen, wenn ein paar Streber noch länger in der Klasse bleiben.
Deshalb sind hier die Stimmen nicht zu zählen, sondern zu werten. Die Stimmen für das Gute sollten mit dem Gutheitsgrad des Anliegens multipliziert und von den Bösen eine Besserverdienendensubtrahend abgezogen werden. Erst dann sind Volksentscheide wirklich gerecht.
„Viele haben nicht verstanden, dass es um vier oder sechs Jahre gemeinsames Lernen geht“, berichtet Panorama, und überhaupt, es war gar nicht das Volk, das in Hamburg abgestimmt hat, denn gerade für das Volk, das so was nicht versteht, war die Schulreform gedacht, aber niemand hat denen bescheidgesagt.
Die Prämisse, dass man ihnen geholfen hätte, wenn die Kinder mit anderen Schülern zur Schule gehen, die verstehen, dass es um vier oder sechs Jahre geht, wird gar nicht hinterfragt, obwohl Panorama doch das Hinterfragen erfunden hat.
Jetzt müsste man noch einen Volksentscheid veranstalten, bei dem man über das Lehren von Rechtschreibung abstimmt, und dann einen über die Rehabilitierung des Frontalunterrichts, einer Methode, die effizientes Unterrichten bedeuten kann, nämlich dann, wenn es dem Lehrer gelingt, dass sich jeder Schüler angesprochen fühlt und dem Lehrer was abnimmt, denn dann handelt es sich keineswegs um passives Berieselnlassen. Aber da dies pädagogische Fähigkeiten verlangen würde und keine reformpädagogischen, befasst man sich lieber mit dem politisch Fassbaren und schiebt die Verantwortung für Schulversagen den anderen Kindern zu, die sich zu früh separiert haben.
Claudio Casula fügt hinzu „dass den Nichtwählern das Thema einfach am Arsch vorbei ging, weshalb sie nicht mal zwei Kreuzchen auf dem Zettel im Briefumschlag gemacht haben, den sie dann kostenlos auf dem Weg zur Tanke, um Bier zu holen, hätten einwerfen können, und: „Um was es geht, stand übrigens auch in den Unterlagen: in einer schönen bunten Broschüre mit allen Argumenten der “Reform”befürworter und –gegner.“
Das ist Panorama entgangen – wie besonders fies das ist. Eine schöne bunte Broschüre, und die wichtigen Sachen sind im Text zum Lesen versteckt! Das ist ja ungeheuerlich. Wie sollen die Leute dann davon erfahren?
Es reicht nicht, ihren bildungsfernen Kindern ein paar Streber einige Jahre länger zur Seite zu stellen, es ist gemeinsames lebenslanges Lernen zu organisieren, man muss die besser Ausgebildeten den Schwachen dauerhaft zur Seite stellen, mindestens, um ihnen die Broschüren bei Volksentscheiden vorzulesen.