Die Geschichte der Ersten Republik und die nachfolgende Zeit des Austrofaschismus werden von ÖVP und SPÖ beziehungsweise ihnen nahestehenden Historiker:innen nach wie vor sehr unterschiedlich bewertet. Spannend war anlässlich des sich zum 90. Mal jährenden „Jubiläums“ des Inkrafttretens der austrofaschistischen Verfassung vom Mai 1934 die selbstkritische Stellungnahme der Katholischen Kirche zu dieser Zeit und ihrer eigenen Rolle.
Unter dem Titel „Geschichtsvergessen“ hebe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:
Im Mai 1934 und somit vor genau 90 Jahren trat die austrofaschistische „Ständeverfassung“ in Kraft. Sie war fatal für Österreich und auch für Vorarlberg wahrlich kein Ruhmesblatt: Landeshauptmann Otto Ender – gleichzeitig fungierte er auf Bundesebene auch als Verfassungsminister – war federführend an ihrer Entstehung beteiligt.
Österreichs Weg in die Diktatur wurde schon durch die gewaltsame Ausschaltung des Parlaments im März 1933 eingeleitet. Anschließend verkündete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß: „Die Zeit liberaler Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist vorüber. (…) Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei.“ Politische Gegner wurden inhaftiert.
Im Februar 1934 scheiterte der bewaffnete Widerstand gegen diese Entwicklung durch die blutige Niederschlagung des Aufstands von Teilen der Sozialdemokratie. Enders Verfassung „im Namen Gottes, des Allmächtigen“ war somit der Schlusspunkt dieser Entwicklung. Wenig später wurde auch Dollfuß Opfer dieser unheilvollen Entwicklung, als er von aufständischen Mitgliedern der SS ermordet wurde.
Kirche mit klarer Position
Erfreulich ist die aktuelle Positionierung der katholischen Kirche, die selbstkritisch einen klaren Trennungsstrich zur austrofaschistischen Verfassung und ihrer damaligen unseligen Rolle zieht. Erzbischof Franz Lackner erklärte als Vorsitzender der Bischofskonferenz, viele führende Vertreter der Kirche „haben in den Tagen des Austrofaschismus in großer Einseitigkeit der unter dem Deckmantel vermeintlich christlicher Politik agierenden Diktatur das Wort geredet und danach gehandelt“.
Lackner spricht von einem „Versagen als Glaubensgemeinschaft“. Was damals mit Berufung auf Gott passiert sei, habe „auf die Bahn in Richtung des mörderischen Abgrunds der nationalsozialistischen Diktatur und des Weltkriegs“ geführt und sei heute „Warnung und mahnender Ansporn“.
ÖVP in Erklärungsnot
Im Gegensatz dazu fehlt eine kritische Aufarbeitung dieser Zeit durch die ÖVP, der Nachfolgepartei der damals regierenden Christlichsozialen. Sie hatte im Bündnis mit der katholischen Kirche versucht, die parlamentarische Demokratie durch ein an das „christliche Mittelalter“ angelehnte Modell einer harmonischen „Ständegesellschaft“ zu ersetzen. Das Ergebnis ist bekannt.
Statt Aufarbeitung gab es nach 1945 eine mehr oder weniger offene Verehrung der Diktatur und des Diktators. Für Vorarlbergs ersten Nachkriegs-Landeshauptmann Ulrich Ilg war der Austrofaschismus gar eine „andere Art der Demokratie“. Das Bild von Engelbert Dollfuß in den Klubräumen des ÖVP-Parlamentsklubs wurde erst jüngst stillschweigend abgehängt. Und der jetzige Innenminister Gerhard Karner hat als Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde sogar ein den Diktator verherrlichendes „Dollfuß-Museum“ betreiben lassen.
Vielleicht gelingt es in nicht allzu ferner Zukunft ja auch der ÖVP, sich wie die Kirche klar von der verhängnisvollen Politik ihrer Vorgängerpartei zu distanzieren.