Vergessen wir auf unsere Zukunft? Man könnte es glauben, denn das Thema „Bildung“ brennt unter den Nägeln, scheint aber nur im Zusammenhang mit dem Corona-Virus oder in der schwammigen Soft-Variante der Neos („beste Bildung“ …) auf. Das Problem liegt aber tiefer: Es ist das Bildungssystem – um es mit dem Bildungswissenschaftler Karlheinz Gruber zu sagen.

Dazu mein Kommentar in den „Vorarlberger Nachrichten“ unter dem Titel „Schule der Privilegierten“, hier zum Nachlesen:

Letzte Woche jubelte nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa: Die Firma BioNTech soll schon Ende Dezember einen Impfstoff gegen das Corona-Virus ausliefern können. Die EU hat sich 300 Millionen Dosen des Biontech-Mittels gesichert. Man spricht von einer Sternstunde der deutschen Wissenschaft.
Dabei war Glück im Spiel, denn die Schullaufbahn der beiden türkischstämmigen Entwickler war holprig. Dr. Uğur Şahin berichtet, dass er eigentlich nicht auf das Gymnasium hätte gehen dürfen. Sein – deutscher – Nachbar intervenierte erfolgreich für ihn. Heute sind wir alle froh darüber.
Schulsystem ändern?
Im Rahmen der „Montforter Zwischentöne“ fand am Freitag eine Diskussion über unser Schulsystem statt. Natürlich gibt es dazu sehr unterschiedliche Zugänge und vor allem die Frage: Soll man wirklich 150 Jahre alte Strukturen verändern? Man soll, denn das bestehende System ist ineffizient und ungerecht, weil es Kinder aus privilegierten Familien zusätzlich begünstigt.
In Österreich spielen die Noten in der Volksschule die Hauptrolle bei der Entscheidung. Es ist aber durch Studien vielfach belegt, dass Kinder aus bildungsfernen Familien auch bei gleicher Leistung schlechter benotet werden. Das geschieht nicht aus Bösartigkeit, sondern weil die Erwartungshaltung bei der Leistungsbeurteilung unbewusst mitspielt.
Nicht nur deshalb ist die Prognosequalität von Ziffernnoten bescheiden. Glaubt wirklich jemand, man könne die Bildungslaufbahn eines nicht einmal zehnjährigen Kindes solide vorhersagen? Das ist schlicht nicht möglich.
In Arbeitszeugnissen würde Manager denn auch nie einfallen, ihre Arbeitskräfte mit Ziffernnoten zu beschreiben. Dort werden erbrachte Leistungen und Stärken möglichst präzise ausgeführt. Insbesondere Lehrkräfte an Volksschulen haben das auch erkannt und aussagekräftige Beurteilungsformen eingeführt. Leider wurde das zuletzt „von oben“ abgedreht.
Zählt nur die Leistung?
Das Phänomen der Begünstigung schon Privilegierter ist altbekannt. In schöner Offenheit hat dies der ehemalige britische Premierminister und Literatur-Nobelpreisträger Winston Churchill beschrieben. Er schreibt in seinen Memoiren, dass er bei der Aufnahmeprüfung für eine Privatschule nur ein leeres Blatt mit seinem Namen abgegeben hat. Das genügte und er wurde aufgenommen, denn sein Großvater war der Herzog von Marlborough.
Herzöge gibt es bei uns nicht mehr, aber dem Druck von wortgewältige Rechtsanwälten, Ärztinnen, Architekten oder Lehrkräfte können sich Lehrkräfte an Volksschulen oft nur schwer entziehen. Arbeiter oder Putzfrauen tun sich da um einiges schwerer.
In kaum einem Land gibt es noch – wie in Deutschland und Österreich – die viel zu frühe Trennung von Kindern mit zehn Jahren. Es ist Zeit, diesen Anachronismus zu beenden und Kinder in der Volksschule nicht weiterhin einem unsinnigen Druck auszusetzen.

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