Am 1. August veröffentlichte der Standard einen Kommentar des emeritierten Bildungs-wissenschaftlers Karl-Heinz Gruber. Tenor des Artikels war Grubers Aufruf an Eltern (und hier vor allem an die Mütter!) von MigrantInnen-kindern, mit ihrem Nachwuchs zu Hause doch Deutsch zu sprechen. In einem gebe ich Gruber recht: Dass nämlich die fundamentale muttersprachliche Sozialisation in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes stattfindet. Aber von welcher „Muttersprache“ redet Gruber? Nein, nicht von den Herkunftssprachen der Eltern, sondern erstaunlicherweise von Deutsch. Damit widerspricht Gruber allen Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung – entsprechende Reaktionen folgten denn auch postwendend von der Migrations- und Bildungsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger und vom Experten für Mehrsprachigkeitsforschung Hans-Jürgen Krumm.

Gruber ist mit einer Replik auf die Repliken dann etwas „zurückgerudert“, den Kern seiner Aussage hält er allerdings aufrecht: „Was ist daran auszusetzen, wenn Einwanderereltern dazu ermuntert werden, mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen? Nichts.“ Sein Statement mag in manchen Ohren zwar gut klingen, bleibt aber auf einer seichten, populistischen Ebene, denn es gibt gerade hier laut Wissenschaft keine Antwort, die pauschal richtig wäre.

Grubers Kommentare zeigen ein Merkmal des österreichischen Integrationsdiskurses auf: Bestimmend sind vielfach jene, die sich mit der Materie kaum oder gar nicht wissenschaftlich beschäftigt haben. Dies reicht von manchen Medien über die FPÖ bis zum Expertenrat für Integration, in dem unter 17 Mitgliedern gerade einmal eine einzige wissenschaftlich ausgewiesene Expertin für Sprachenfragen, nämlich die Linguistin Ruth Wodak, vertreten ist. Und genau sie hatte sich zu den im Vorfeld kolportierten Meldungen zum aktuellen Integrationsbericht des Expertenbeirats kritisch in Bezug auf die Deutsch-Vorbereitungsklassen für Kinder geäußert: „Da wird von segregierten Klassen gesprochen – davon ist im Bericht keine Rede.“ (http://derstandard.at/2000003518425). Tatsächlich wird im inzwischen erschienen Integrationsbericht 2014 die Einrichtung von „speziellen Vorbereitungsklassen für QuereinsteigerInnen“ nach dem Modell des Hamburger Kompetenzzentrums „FörMig“ (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund) empfohlen. Zentraler Pfeiler des FörMig-Konzepts ist allerdings eine durchgängige Sprachbildung, die auf regelmäßige Diagnosen (Sprachstandserhebungen) setzt und auf eine gezielte, individualisierte Förderung der Bildungssprache (dieser Terminus ist bewusst gewählt!), die an die bereits vorhandenen Ressourcen von Kindern und Jugendlichen knüpft. Aber hier, und auch das belegen Forschungen, braucht es ein entsprechendes Diagnoseinstrumentarium und dann vor allem ExpertInnen, die fähig sind, die Daten zu interpretieren und auf sie in geeigneter Weise zu reagieren. Dafür benötigen wir ZUERST angemessene Arbeitsbedingungen in den Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen und exzellent ausgebildete PädagogInnen. Um jedoch so weit zu kommen, sind ein Umbau unseres Bildungssystems und eine radikale Umstrukturierung unserer LehrerInnenbildung notwendig. Es ist allerhöchste Zeit, sich dafür stark zu machen!