7. September 2015

Flüchtlingskinder: Was muss jetzt passieren?

2016-01-30T09:04:58+01:0007.09.15, 12:49 |Kategorien: Bildung, Integration, Menschenrechte|Tags: , |

PK-inci_dirimGemeinsam mit İnci Dirim, Professorin für „Deutsch als Zweitsprache“ an der Universität Wien, habe ich heute in einer Pressekonferenz unsere Vorschläge zur schulischen Integration von Flüchtlingskindern vorgestellt. Derzeit geht man im Ministerium davon aus, dass etwa 5.000 Flüchtlingskinder integriert werden müssen. Die Zahl ist jedoch ausgehend von den Schätzungen in Deutschland sehr niedrig gegriffen.

Meine Forderungen kurz zusammengefasst:

  • Flexiblere ganzjährige Mittelzuteilung: Derzeit wird ein Stichtag herangezogen (der 15. September), dann darf ein ganzes Jahr lang nichts mehr passieren.
  • Wir benötigen kurzfristig mehr Geld und müssen auf neue Herausforderungen auch während des Schuljahres reagieren können. Konkret bedeutet das: 14 Mio € mehr für Sprachförderung und sozial-psychologische Betreuung, um Traumata zu erkennen, um Sicherheit zu geben und Stabilität zu vermitteln. Das sind 0,17% des Unterrichtsbudgets.
  • Einbeziehung von ExpertInnen aus ganz Österreich für ein Konzept: Das wäre eigentlich selbstverständlich, fehlt aber derzeit.
  • Einheitliche Sprachstandsfeststellung in allen Bundesländern und Weitergabe der Daten vom Kindergarten zur Volksschule.
  • Sonderverträge für im Fach „Deutsch als Zweitsprache“ akademisch ausgebildete Personen, die kein Lehramt haben (allein in Wien sind es etwa 200).
  • Als Übergangslösung kurzfristige „Willkommenskurse“, um eine gute psychologische und sozialpädagogische Betreuung gewährleisten zu können. Dann gleitender Übergang in die Regelklassen, denn die Wissenschaft hat belegt: Schnellstmögliche Integration bringt die besten Ergebnisse!

Professorin Dirim hat auf zwei „best practice“-Modelle hingewiesen und davor gewarnt, pauschale Antworten auf die komplexen Herausforderungen zu geben:

  • In Schleswig-Holstein gibt es Zentren für Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Sie werden von den Kinder besucht, bevor es dann zur Eingliederung in die Schulen kommt. Von dort können sie jederzeit wieder ins DaZ-Zentrum, sodass eine langjährige Begleitung garantiert ist. Es ist ein Modell für Schulen, die nur von wenigen betroffenen Kindern besucht werden.
  • In Hamburg gibt es etwa 500 SprachlernkoordinatorInnen, die von den Schulen nominiert werden. Sie erhalten eine spezielle Ausbildung und einmal pro Jahr eine Fortbildung und sind Teil eines eigenen Netzwerkes. Sie machen am Anfang des Jahres Sprachstandserhebungen mit allen Kindern. Wo es notwendig ist, werden individuelle Förderpläne erstellt. Die Evaluierung erfolgt am Ende des Jahres wieder mit einer Sprachstandserhebung.

Die Zeit drängt. Wir müssen umgehend handeln, denn es gilt auch hier: Wer rasch hilft, hilft doppelt!

29. August 2015

„Diese Zeit ist schwierig“ – Zur Rhetorik von Innenministerin Mikl-Leitner

2015-08-29T17:28:03+02:0029.08.15, 17:22 |Kategorien: Gesellschaft, Integration, Menschenrechte|Tags: , , |

mikl-leitnerEin genaueres Hinschauen auf die Sprache und den öffentlichen Diskurs über ein Thema ist meist erhellend. Schon eine oberflächliche Analyse eines Gesprächs unserer Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow und dem „Standard“ über Flüchtlinge, Ängste und Macht („Wo wir keine Flüchtlinge haben, ist die Angst am größten“) zeigt die verbale und argumentative Strategie, mit der Mikl-Leitner agiert: Sie ist geprägt von Abwehr, vom Verschieben der Verantwortung auf entpersonalisierte, vermeintlich unkontrollierbare Wirkungsmächte und von beschwichtigenden Formulierungen, indem harte Benennungen von Realitäten durch Euphemismen aufgelöst werden. Mikl-Leitner bedient immer wieder Metaphern wie „Migrationsströme“, denen die Linguistin Ruth Wodak durch deren Konnotation mit Naturkatastrophen eine „dehumanisierende Wirkung“ zuschreibt.

Im Folgenden zitiere ich einige wenige Beispiele, die symptomatisch für den Diskurs der Innenministerin stehen. Die hier festgemachten Strategien ziehen sich durch das gesamte Interview.

Ilija Trojanow: Wir leben jetzt schon seit längerem in einer Angstkultur. Ständig hat irgendjemand vor irgendetwas Angst – vor Terrorismus, Katastrophen, Migranten. Die Medien schüren Angst, die Politiker beschwichtigen sie nicht. Ich wünsche mir von Politikern, dass sie sagen: Solange es diesen grausigen Bürgerkrieg in Syrien gibt, werden Millionen von Menschen fliehen – und wir können nicht so tun, als wäre das mal ein kleines Problem zwischendurch. Also stellen wir uns der Herausforderung und zeigen wir eine gewisse hilfsbereite Gelassenheit.

Mikl-Leitner: Ich schließe mich an, es braucht mehr Ehrlichkeit in der Asyldebatte. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Europa scheitert an der Flüchtlingsfrage, indem die Nationalisten die Oberhand gewinnen – und dann wissen wir, dass es mit einem friedlichen Europa schneller zu Ende sein kann als manche glauben. Oder Europa schafft diese Herausforderung. Das kann aber die Politik allein nicht lösen – das trifft jeden Einzelnen.

M-L. schließt sich zwar verbal an, von der von Trojanow eingeforderten hilfsbereiten Gelassenheit ist in ihrer Replik jedoch nichts zu bemerken. Und: Sie gibt ein Stück Verantwortung an „jeden Einzelnen“ ab. Damit leitet sie ihre Strategie ein, Fehler und Scheitern grundsätzlich bei anderen festzumachen.

STANDARD: Viele Einzelne erzählen, dass sie helfen wollen, das Innenministerium aber blockiert.

Mikl-Leitner: Bürokratische Hürden gibt es überall – auch bei der Quartierfrage. Wir scheitern an Baugenehmigungen, an Widmungen. Deswegen braucht es das Durchgriffsrecht.

Die angesprochenen Blockaden des Innenministeriums wehrt M.-L. mit „bürokratische Hürden“, die sich von selbst aufbauen und gegen die sie vermeintlich machtlos ist, ab.

Trojanow: Was heißt eigentlich, Sie sind betroffen? Politiker benutzen dieses Wort immer. Das macht mich misstrauisch. Warum muss man das extra formulieren? Ich bin jeden Tag über irgendwas erzürnt. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, wenn man noch irgendeine Menschlichkeit in sich hat.

Mikl-Leitner: Letztens habe ich den Vorwurf bekommen: „Warum sagen Sie nicht, dass Sie betroffen sind?“ Wie man es macht, ist es falsch. Betroffen sein heißt, dass man nachdenklich ist, dass man versucht zu helfen. Meine ganze Kraftanstrengung gehört ja den Migrationsströmen.

Zuerst stilisiert sich M.-L. zum Opfer („man kann es gar nicht richtig machen“), danach definiert sie „Betroffenheit“ ebenfalls unter Verwendung des unpersönlichen „man“, um dann auf sich selbst zu kommen: „Meine (!) ganze Kraftanstrengung gehört ja den Migrationsströmen.“ M.-L. vermittelt hier das Bild von Widrigkeiten, die von außen flutartig auf sie hereinbrechen und gegen die sie als Einzelkämpferin anschwimmen muss.

Trojanow: Wenn wir schon so betroffen sind, wie wir alle behaupten, wie kann es sein, dass es zu solchen Zuständen kommt? Entweder ist die Betroffenheit nicht tief genug – oder irgendwas anderes stimmt nicht.

Mikl-Leitner: Sie haben vollkommen recht. Betroffenheit allein reicht nicht aus. Aber man kann Dinge schon so oder so darstellen.

M.-L. wehrt, ohne konkret zu werden, mit dem „Aber“ den Vorwurf von Trojanow ab.

STANDARD: Zu Europas Asylpolitik: Sind Grenzzäune, wie Ungarn sie derzeit baut, ein legitimes Mittel?

Mikl-Leitner: Ich stelle mir Europa nicht so vor, dass wir wieder Zäune aufbauen. Es braucht mehr Sicherung der EU- Außengrenzen. Und Anlaufstellen in Italien und Griechenland, wo man klar differenzieren kann zwischen Kriegsflüchtlingen und Auswanderern.

M.-L. spricht von der notwendigen „Sicherung“ der EU-Außengrenzen. Im darauffolgenden Satz nennt sie, vor wem sich die EU „schützen“ muss, nämlich vor den „Auswanderern“. Damit nimmt sie die fremdenfeindliche Rhetorik vom Klischee der Wirtschaftsflüchtlinge auf, gegen die es sich zu schützen gälte. Durch den Bezug auf die ausschließliche Rechtmäßigkeit von Flucht, wenn sie aus Kriegsgründen erfolgt, negiert M.-L., dass etwa Hungerkrisen oder Schutz vor politischer Verfolgung ebenfalls plausible Fluchtgründe sind.

Trojanow: Ich habe es ja selbst im Flüchtlingslager erlebt: Das ist eine völlig lähmende Auszeit. Man lernt dort nichts, man verlernt auch alles. Man ist geparkt als willenloses Opfer in einer nicht beeinflussbaren Bürokratie. Wir waren ein halbes Jahr im Lager, und schon das war schwierig, meine Eltern waren auf dem Weg zur Traumatisierung. Oft dauert es aber länger – zwei, drei Jahre. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

STANDARD: Frau Ministerin, Sie nicken. Sehen Sie das ähnlich?

Mikl-Leitner: Ich sehe das genauso, diese Zeit ist schwierig, egal in welcher Betreuungseinrichtung. Jeder wünscht sich ein normales Leben – mit Familie, Arbeit, Schule.

Auf die sehr harten Aussage von Trojanow, das Leben im Lager sei „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ kontert M.-L. mit der weichgespülten und abwehrenden Formulierung, „diese Zeit“ sei „schwierig“ und nicht etwa die durchaus änderbaren Bedingungen in den Lagern. Sie spricht zudem von einer „Betreuungseinrichtung“, die Fürsorge suggeriert und vom „normalen Leben“, das sich jeder wünscht, was aber eben nicht gewährleistet werden könne.

STANDARD: Jetzt soll ein Manager es richten, Christian Konrad. Ist das ein Eingeständnis, dass die Politik weniger Macht hat als die Wirtschaft?

Mikl-Leitner: Die Entscheidung ist eine sehr gute. Was waren die Probleme in den letzten Monaten? Permanente Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Da braucht es einen Brückenbauer.

STANDARD: Warum können Sie nicht diese Brückenbauerin sein?

Mikl-Leitner: Das Erste, was es dazu braucht, ist das Durchgriffsrecht. Jetzt geht es darum, auch mit dem Durchgriffsrecht Quartiere zu schaffen.

Der Schlusssatz kann als Diagnose über Mikl-Leitners (politische) Verfassheit gedeutet werden: M.-L. beantwortet die Frage vermutlich eher unbewusst, denn eine Person, die zuallererst mit Durchgriffsrecht arbeitet, kann wohl schwerlich „Brückenbauerin“ sein.

4. Juli 2015

Sprachkurse für Flüchtlinge: Integrationsministerium säumig!

2015-07-05T11:03:12+02:0004.07.15, 12:37 |Kategorien: Integration|Tags: , , |

kurz_menschenrechteMan stelle sich vor: Das Bildungsministerium sucht Menschen, die ehrenamtlich in Schulen unterrichten! Argumentation: Es gibt grad so viele SchülerInnen, und es ist wichtig, dass die Unterricht erhalten. Das Finanzministerium sucht Freiwillige für Steuerprüfungen, weil gerade viele Steuererklärungen abzuarbeiten sind? Oder das Gesundheitsministerium will Ehrenamtliche, die in Krankenhäusern wegen einer Grippewelle den Notdienst übernehmen?

Absurde Vorstellungen, darüber sind wir uns vermutlich einig. Doch so etwas gibt’s bei uns: Auf der Website des – dem Integrationsministerium direkt unterstellten – Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) ist zu lesen: „Sie möchten sich freiwillige (sic!) im Bereich Sprachvermittlung für Flüchtlinge engagieren? Der ÖIF lädt zum Infoabend. (…) Mit dem neuen Angebot ‚Treffpunkt Deutsch’ im Integrationszentrum Wien unterstützt der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) engagierte Menschen, die sich ehrenamtlich betätigen möchten und Zuwander/innen (sic!) gerne einige Stunden in der Woche beim Erwerb und der Vertiefung ihrer Sprachkenntnisse unterstützen.“ Wir lernen: Der ÖIF „unterstützt“ Personen, die kostenlos arbeiten wollen (oder sollen). Ich bin ja prinzipiell sehr für ehrenamtliches Engagement. Hier stellt sich die Lage jedoch völlig anders dar: Die Republik Österreich hat ihre Gesetze dermaßen gestaltet, dass AsylwerberInnen, deren Verfahren nicht abgeschlossen ist, vom Staat nur eine Grundversorgung erhalten sollen. Sprachkurse sind nicht vorgesehen. Argument: Die Leute sollen nicht zu sehr integriert werden, denn sie könnten dann ja noch eher bleiben wollen. Dennoch ist es ureigene Aufgabe eines Staates, der sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt und die Genfer Flüchtlingskonvention mitunterzeichnet hat, eine angemessene Versorgung der Flüchtlinge zu gewährleisten.

Der ÖIF spricht nun in seiner Ausschreibung von „Asylberechtigten“ als Zielgruppe der Freiwilligenleistungen, also wohl nur von bereits anerkannten Flüchtlingen, argumentiert aber mit der um 160% gestiegenen Zahl der Asylanträge, um den Aufruf an die Ehrenamtlichen zu rechtfertigen.

Spätestens hier wird der als „Angebot“ titulierte Aufruf zur Chuzpe. Der Staat, namentlich das Integrationsministerium, hat dafür Sorge zu tragen, dass ein ausreichendes Sprachangebot zur Verfügung gestellt wird – nicht zuletzt deshalb, weil von Zugewanderten Deutschkenntnisse für den Verbleib nachgewiesen werden müssen. „Integration durch Leistung“ ist ja der Lieblingsslogan von Minister Sebastian Kurz, das Erlernen der deutschen Sprache ist für ihn auf der Stufenleiter der zu erbringenden Leistungen, ganz weit oben. Nun wissen wir, dass das vom Innenministerium bereitgestellte Budget für Deutschkurse bei weitem nicht mehr ausreicht. Jetzt sollen es also Ehrenamtliche richten und kostenlos unterrichten. Mit der Qualifikation der Unterrichtenden nimmt man es nicht ganz so streng und appelliert an „Lehrer/innen (aktiv oder pensioniert) Student/innen (Pädagogik, Kommunikationswissenschaften, Germanistik, etc.) Personen mit Trainings- oder Unterrichtserfahrung“ (alle Beistrichfehler im Original). Jetzt frage ich mich: Was qualifiziert etwa Studierende der Kommunikationswissenschaft dazu, Deutsch als Fremd-/Zweitsprache zu unterrichten? (Von „etc.“ rede ich erst gar nicht.) Und vor allem: Warum soll irgendjemand eine Arbeit kostenlos verrichten, die der Staat zu bezahlen hat?

Dass nun die Zivilgesellschaft einspringen muss, weil die Republik Österreich nicht willens ist, für AsylwerberInnen menschenwürdig zu sorgen, betrachte ich als Schande. Dass so viele ÖsterreicherInnen zur Zeit dennoch Unmengen an Unterstützungsleistungen erbringen und auch Sprachunterricht erteilen, weil sie sich der Solidarität und Menschlichkeit verpflichtet fühlen, ist großartig. Dass aber Integrationsminister Kurz solche Freiwilligenleistungen in Anspruch nimmt, um gleichzeitig für PR-Kampagnen wie #stolzdrauf das Geld hinauszupulvern, dafür habe ich genau null Verständnis! Im Übrigen fordere ich BM Kurz und BM Mikl-Leitner auf, den letzten Rechnungshofbereicht zum ÖIF genauer anzusehen und rechtliche Schritte rund um die vom ÖIF im Korruptionssumpf versenkten Millionen einzuleiten.

(Foto: https://www.flickr.com/photos/minoritenplatz8/16527151039/)

Wofür ich stehe?

Ich stehe für soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

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