4. Oktober 2023

Verrohte Bürgerlichkeit

2023-10-04T07:06:17+02:0004.10.23, 7:05 |Kategorien: Gesellschaft|Tags: , |

Die politische Fettnäpfchen-Tour von Karl Nehammer ist nicht nur seiner Unbeholfenheit zuzuschreiben, sondern verweist auf eine gesellschaftliche Entwicklung. Dazu mein Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten unter dem Titel „Verrohte Bürgerlichkeit“. Hier zum Nachlesen:

Der österreichische Bundeskanzler und seine ÖVP haben derzeit keinen guten Lauf. Ein fälschlich abgeschicktes Email offenbarte am Montag konkrete Pläne für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen FPÖ, SPÖ und sogar den eigenen Koalitionspartner. Für die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle wäre das ein klarer Koalitionsbruch.

In den Tagen davor haben das „Hamburger-Video“ und die herablassende Kommentierung der Forderung nach mehr Kinderbetreuungseinrichtungen für Aufregung gesorgt. Der ÖVP-Obmann scheint inzwischen regelrecht auf einer „Fettnäpfchen-Tour“ zu sein. Zudem beanstanden immer mehr politische Beobachter die Empathielosigkeit seiner einst christlichsozialen Partei gegenüber sozial Schwachen.

„Anstandslose“ ÖVP

Der ehemalige Caritas-Präsident Franz Küberl diagnostizierte zuletzt, die ÖVP habe in sozialer Hinsicht „jedes Gespür“ verloren. Noch schärfer geht der aus Bregenz stammende Publizist und „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher in seinem Buch „Anstandslos“ mit der ÖVP ins Gericht: „Wann und wo genau verloren die ihre Würde? Als sie mit den Rechtsextremisten der FPÖ koalierten? Als jene türkise Gang, die Sebastian Kurz ins Kanzleramt schummelte, weder Umfragebetrug noch Medienkorruption scheute?“

Der Zustand der ÖVP aber ist nur ein Symptom für die zunehmende „Verrohung“ der ganzen Gesellschaft. Sie zeigt sich etwa in der achselzuckenden Teilnahmslosigkeit, wenn wieder hunderte Menschen im Mittelmeer ertrinken oder tausende nach Erdbeben oder Überschwemmungen irgendwo in einem fernen Land sterben.

Viele Länder betroffen

Der Begriff „verrohte Bürgerlichkeit“ kennzeichnet seit einigen Jahren diese Entwicklung einer zunehmend egoistischen, intoleranten und rücksichtsloser werdenden Gesellschaft. Und sie ist nicht nur bei Konservativen oder Rechten zu beobachten, sondern zunehmend auch bei gut situierten Linken.

In vielen anderen Ländern ist diese Entwicklung noch weiter fortgeschritten. Das gilt speziell für solche, die wir einst aufgrund einer gemeinsamen Wertehaltung zur „westlichen Welt“ gezählt haben. Man denke etwa an Ungarn, Polen, Israel oder Italien. Die Liste wird immer länger.

Ein dumpfer Nationalismus macht sich breit. Die im letzten Jahrhundert hart erkämpfte offene Gesellschaft wird inzwischen oft als Bedrohung gesehen, kritische Kunstschaffende, investigativer Journalismus und unabhängige Redaktionen werden diffamiert, der Justiz das Leben schwer gemacht – in Österreich etwa mit Attacken gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Eine Ursache dafür ist sicher die um sich greifende Verunsicherung breiter Schichten durch die großen Fluchtbewegungen, die Auswirkungen der Klimakrise, soziale und wirtschaftliche Verwerfungen. Egoismus und Empathielosigkeit gegenüber anderen Menschen sind die Folge. Aufgabe der Politik wäre es, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und sich für Gerechtigkeit, Toleranz und Mitgefühl einzusetzen. Karl Nehammer tut das Gegenteil.

5. August 2023

„Bargeld-Debatte“

2023-08-06T14:12:13+02:0005.08.23, 19:58 |Kategorien: Allgemein, Nationalrat|Tags: , , |

Die „Bargeld-Debatte“ ist in jeder Hinsicht entbehrlich. Sie entbehrt jeder Grundlage, da der österreichische Gesetzgeber gar nicht in der Lage ist, entsprechende Gesetze zu erlassen. Das kann nur die EU. Sie ist politisch verheerend, weil die ÖVP wieder einmal ein Thema der extremen Rechten forciert. Unter dem Titel „Bargeld-Debatte“ habe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:

Gerald Fleischmann hat in der österreichischen Politik tiefe Spuren hinterlassen. Er stand hinter dem Aufstieg von Sebastian Kurz, fiel dann aber wie fast alle anderen aus der schwarz-türkisen „Buberlpartie“ im Zuge der vielen Korruptionsskandale sehr tief und musste seinen wohldotierten Job aufgeben.

Karl Nehammer übernahm die Partei, konnte den Abwärtstrend aber nicht stoppen. Der nicht gerade charismatische neue Parteichef wusste aufgrund massiver Einbrüche bei Landtagswahlen und einem Absturz bei Umfragen auch auf Bundesebene nicht mehr ein und aus. Und er holte in seiner Not Fleischmann zurück in die ÖVP-Bundeszentrale.

Und siehe da: Fleischmann hatte eine Idee und veränderte die bis dahin weitgehend sachliche, wenn auch nicht reformfreudige Politik. Erfolg stellte sich allerdings nicht ein, Umfragen bleiben hartnäckig im Keller. Die alten Rezepte ziehen halt nicht mehr. Beim zweiten Aufkochen wird zwar eine Gulaschsuppe besser, in der Politik aber schmeckt Aufgebrühtes selten gut.

Ablenkungsmanöver

Fleischmanns Rezept: Man werfe Nebelgranaten, wenn man das Scheitern der politisch Verantwortlichen bei den wirklich drängenden Problemen vernebeln möchte. Das gelang zwar unter Sebastian Kurz, als man für alle innenpolitischen Probleme mit der Migrationsbewegung eine einzige Ursache ausmachen wollte. Heute aber braucht es Neues.

Jetzt versucht die ÖVP ein anderes Kochrezept: Obwohl nirgends in Österreich oder der EU die Abschaffung des Bargelds gefordert wird, wollen Nehammer und seine ÖVP das Recht auf Bargeld im Verfassungsrang einzementieren. Damit sind sie ein weiteres Mal voll auf Linie mit extrem rechten Parteien wie der FPÖ und der deutschen AfD. Wie aber kamen Fleischmann und der Kanzler auf diese Idee?

Wer zahlt 10.000 Euro bar?

Die EU-Kommission will zur Geldwäschebekämpfung bei Geschäftstransaktionen eine Bargeld-Obergrenze zwischen 7000 und 10.000 Euro. Dass Parteien, die tief in Korruptionsaffären verwickelt sind, damit keine Freude haben, liegt auf der Hand. Der offenkundig von Fleischmann inszenierte Pro-Bargeld-Vorstoß hat daher mehr als nur ein „Gschmäckle“. Viele Menschen fragen sich zurecht: Wer außer Kriminellen will Rechnungen von 10.000 Euro und mehr heute noch bar bezahlen? „Normal“ ist das jedenfalls nicht, um die ÖVP-Normalitätsdebatte zu bemühen.

Martin Selmayr, Vertreter der EU in Österreich, gibt Nehammer übrigens Nachhilfe im Verfassungsrecht: Beim EU-Beitritt kam es vor fast drei Jahrzehnten zur Übertragung der Währungssouveränität auf die EU. Und die EU garantiert seit 1999 Bargeld als Zahlungsmittel. Österreich könnte ein vom Kanzler angekündigtes Verfassungsgesetz also gar nicht beschließen – und muss es nicht, weil es von der EU bereits garantiert ist. Peinlich für Nehammer, wenn er das nicht weiß. Erschütternd, wenn er die Forderung dennoch aufgestellt hat. Selmayr ist übrigens ebenfalls Christdemokrat.

18. Juli 2022

Bitte Klartext reden!

2022-07-18T16:40:54+02:0018.07.22, 16:38 |Kategorien: Allgemein|Tags: , , |

In Deutschland läuft politisch auch nicht alles rund. Aber in Sachen Kommunikation können sich Nehammer & Co. doch einiges abschauen. Unter dem Titel „Alkohol als Lösung?“ habe ich das in den Vorarlberger Nachrichtren thematisiert. Hier zum Nachlesen:

Was genau meinte Kanzler Karl Nehammer, als er jüngst in Tirol gemeint hat, angesichts der Krisensituation gäbe es nur zwei Wahlmöglichkeiten: Alkohol oder Psychopharmaka. Die als Scherz gemeinte, aber völlig deplatzierte Äußerung hat ihm zurecht Spott und Häme eingetragen.

Dabei berührt sein Fauxpas einen wichtigen Punkt: Was sind die Folgen der Ukraine-Krise für die Bevölkerung? Wie weit wird sie mitgehen bei Sanktionen, die uns alle ganz massiv betreffen? Hier wären klare Kommunikation und politische Führung dringend geboten.

Klartext reden

Warum aber fällt genau das den türkis-grünen Verantwortlichen in Österreich so schwer? Ein Beispiel: Die Gasversorgung im Winter ist aller Schönrederei zum Trotz nicht gesichert. Braucht es wirklich Nachhilfe aus Deutschland, um diese Tatsache und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen anzusprechen?

Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck erklärte bei seinem Österreich-Besuch, die „Priorisierung der Versorgung von Privatverbrauchern“ müsse im Falle eines dramatischen Energiemangels überdacht werden. Die Industrie könne nicht automatisch nachgereiht sein, denn die Folgen wären schlussendlich für alle dramatisch – Produktionsstopp, Arbeitslosigkeit und in der Folge Rezession und soziale Unruhen.

In Österreich bleibt alles sehr vage. Dabei gehört die weltweit höchste Abhängigkeit von russischem Gas – seit Kriegsbeginn von 80 Prozent auf 87 Prozent gestiegen – thematisiert. Zu verdanken haben wir das dem inzwischen ausgeschiedenen OMV-Vorstand Rainer Seele – Jahresgage bis zu 7,2 Millionen Euro. Im ÖVP-Korruptionsausschuss konnte er sich an seine Putin-Reisen mit Sebastian Kurz allerdings kaum mehr erinnern.

Lange Problemliste

Die Versorgung mit Gas ist keineswegs die einzige Schwierigkeit, die es zu überwinden gilt: Die angestrebten Klimaziele werden verschoben statt die Krise als Impuls für zukunftstaugliche Maßnahmen zu nutzen. Die Inflation macht Reiche reicher und Arme ärmer. Und unser ungerechtes Steuersystem beschleunigt diese Entwicklung, weil die weitgehend fehlenden Vermögenssteuern vor allem die Superreichen zusätzlich begünstigt.

All das wird hierzulande von den Verantwortlichen sehr verklausuliert und meist nur hinter vorgehaltener Hand angesprochen. Man wiegt die Bevölkerung in trügerischer Sicherheit.

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, meinte die große österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann. Das Aussprechen schlichter und uns alle betreffenden Wahrheiten fällt hierzulande aber offensichtlich noch immer sehr schwer. Bachmann kannte Österreich sehr gut, ihr Appell war als Aufforderung gedacht.

Wenn aber Karl Nehammer versucht, eine unangenehme Wahrheit anzusprechen und daraus resultierende Maßnahmen zu erwähnen, dann kommen leider nur peinliche Alternativen heraus: Alkohol oder Psychopharmaka?

Wofür ich stehe?

Ich stehe für soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles über meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, Anträge und Ausschussarbeit.


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