3. Mai 2021

Chancen(un)gleichheit in der Schule

2021-05-03T09:26:46+02:0003.05.21, 9:26 |Kategorien: Bildung|Tags: , |

Unter dem Titel „Schulk(r)ampf“ habe ich in den „Vorarlberger Nachrichten“ Stellung bezogen zu den sogenannten „informellen Kompetenzmessungen“, die seit letzter Woche in den dritten Klassen der Volksschule durchgeführt werden und Grundlage sein sollen, ob ein Kind künftig in die AHS darf oder nicht. Ein Irrweg!

Rückwärts statt vorwärts geht es in unserem Schulsystem. Schon immer hatten es Kinder aus sozial schwachen Familien in der Schule schwer, die Pandemie hat das Problem noch weiter verschärft. Statt Gegenmaßnahmen zu setzen, verschärft das Bildungsministerium das jetzt auch noch.

Seit letzter Woche werden in der dritten Klasse Volksschule sogenannte „informelle Kompetenzmessungen“ durchgeführt. Sie haben zwar keinen Einfluss auf die Noten, sind aber Teil der künftigen „AHS-Empfehlung“ − gemeinsam mit den Noten der dritten Klasse und der Schulnachricht im ersten Semester der vierten Klasse. Die Kompetenzmessungen heißen somit zwar „informell“, sind es aber nicht.

Hürden für Benachteiligte

Die Schulwegentscheidung beginnt künftig also schon in der dritte Klasse Volksschule. Das ist europaweit ebenso einzigartig wie falsch. Dennoch gab es weder in den Medien noch seitens der Politik eine öffentliche Diskussion darüber.

Fachleute weisen seit Jahren darauf hin, dass benachteiligte Kinder Zeit brauchen. Sie beginnen ihre Schullaufbahn schon mit einem Rückstand, weil ihr Wortschatz und ihr Sprachvermögen nicht dem von Kindern aus „besseren Kreisen“ entsprechen − das gilt übrigens bei weitem nicht nur für Kinder aus migrantischen Familien. Umso länger sie die Möglichkeit zum gemeinsamen Lernen bekommen, desto größer sind ihre Bildungschancen.

Wir hingegen trennen die Kinder zu früh, nehmen vielen die Chance zur Entwicklung und lassen somit einen Großteil des einzigen wirklichen „Rohstoffs“, den Österreich hat, brachliegen: die Kompetenzen vieler Kinder und Jugendlichen.

Corona- und Bildungskrise

Schon jetzt beklagen die oft ausgezeichneten Ausbildungsbetriebe im Land, dass die Qualifikation der Jugendlichen nach der Schule nicht ausreichend sei. Diese haben im Berufsleben dann kaum mehr eine Chance, sind ein Fall für das Sozialsystem und beschäftigen dann nicht selten auch die Gerichte.

Die coronabedingte Verlagerung des Lernens ins häusliche Umfeld hat das Bildungsproblem verstärkt. Das belegt auch eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) unter 4.000 Lehrkräften. Das eindeutige Ergebnis: Kinder aus sozial schwachen Familien wurden durch die Umstellung auf Fernunterricht noch weiter abgehängt.

Keine Lobby für Kinder

Mit der „Kompetenzmessung“ in der dritten Klasse legt jetzt der Staat noch eins drauf, statt das Problem zu entschärfen. Die betroffenen Kinder haben keine Lobby, zahlen aber die Zeche für die bildungspolitischen Fehlentscheidungen.

Früher gab es heftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen über die richtige Strategie in der Schulpolitik. Heute hat man den Eindruck, dass sich niemand mehr wirklich für eine gerechte und leistungsfähige Schule einsetzt − außer vielleicht Industriellenvereinigung oder Arbeiterkammer. Das ist eine Tragödie für die Kinder. Und für die Eltern. Und für den Bildungsstandort Österreich.

17. Februar 2020

Geht beides? Ziffernnote und Alternative?

2020-02-17T14:29:34+01:0017.02.20, 14:29 |Kategorien: Bildung|Tags: |

Konservative Kritiker der alternativen Leistungsbeurteilung bis hin zum Minister geben sich gerne großzügig und „erlauben“ zusätzlich zur verpflichtenden Ziffernnote in der Volksschule eine alternative Beurteilung. Völlig abgesehen davon, dass ich es für unzumutbar halte, dass Pädagog*innen genötigt werden, doppelte Arbeit zu leisten, habe ich eine interessante Zusendung quasi „aus der Praxis“ bekommen.

Johanna Aschbacher ist Lehrerin an der Volksschule Rankweil-Brederis und hat mir Folgendes geschrieben. Gerne drucke ich es – mit ihrer Erlaubnis – hier ab:

Mein Name ist Johanna Aschbacher und ich bin seit über 25 Jahre im Schuldienst in der Volksschule, heute Primarstufe, tätig. Seit über 15 Jahren arbeite ich an verschiedenen Standorten mit, eine alternative Beurteilung für Kinder bis 10 Jahre zu entwickeln. Von diversen Kompetenzrastern über „Pensenbuch“ und direkte Leistungsvorlage haben wir alles angeschaut, verglichen, ausgewählt und für den jeweiligen Standort adaptiert. Das Thema ist uns Pädagog_inn_en so wichtig, dass wir unsere Modelle immer wieder überarbeitet haben, um die Aussagekraft zu optimieren und Leistung sichtbar zu machen. In unzähligen Stunden ist es uns gelungen, die Eltern von den Vorteilen der alternativen Beurteilungsformen zu überzeugen.

In der Diskussion über Notenzwang bzw. Wiedereinführung der Ziffernnoten ab der zweiten Schulstufe im 2. Semester, vermisse ich ein grundlegendes Argument, nämlich jenes der Unvereinbarkeit der beiden Beurteilungsmodelle. Erlauben Sie mir, dazu Stellung zu beziehen:

Die Ziffernnote ist für mich ein defizitorientiertes Beurteilungsmodell, defizitär gegenüber von 100%. Dabei spielt auch der Zeitpunkt der Lernziel-Erreichung eine große Rolle. Im Jahreszeugnis findet sich ein Mittelwert der Leistungsbeurteilung für das ganze Schuljahr.

Eine alternative Leistungsbeurteilung hingegen schaut auf die positive Entwicklung der Kindes. Sie macht Erfolge sichtbar vom (Schul)Anfang bis zum Zeitpunkt z.B. des KEL- Gesprächs. Es werden auch Lehrstoff-Themen angesprochen, die vom Kind noch nicht ausreichend bearbeitet und geübt wurden und es wird motiviert, sich damit in den nächsten Tagen und Wochen zu befassen. Das Kind wird dabei unterstützt und begleitet, erfolgreich zu arbeiten. Bei der alternativen Leistungsbeurteilung spielt der Zeitpunkt der Lernziel-Erreichung eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Am Ende steht ein Ist-Wert, dessen Entwicklung dokumentiert wurde.

Der Zugang zur Leistungsbeurteilung der beiden Systeme ist nicht kompatibel. Das ist der wirkliche Grund, warum Pädagog_inn_en, die die alternative Leistungsbeurteilung bevorzugen und leben, mit dem Notenzwang nichts anfangen können. Ganz sicher geht es dabei nicht um eine Überlastung der Pädagog_inn_en, beide Wege zu beschreiten. Nein, die Wege passen einfach nicht zusammen. Sie sind unvereinbar.

Ich bedanke mich, für Ihre Zeit und freue mich darauf, dass Sie in den einen oder anderen Diskussionen bzw. Kommentaren dieses grundlegende Argument auch öffentlich machen werden.

Anmerkung: Ich habe in den letzten Wochen viele Reaktionen von Lehrkräften aus der Volksschule erhalten, dabei ist durchaus auch die Überlastung wegen der doppelten Beurteilung angesprochen worden. Wichtiger aber ist mir jener Aspekt, den Kollegin Aschbacher hier in der Vordergrund stellt: Ziffernnote und alternative Beurteilung sind nicht kompatibel!

15. Februar 2020

Ziffernnote ja oder nein?

2020-02-15T09:38:07+01:0015.02.20, 9:30 |Kategorien: Bildung|Tags: |

Lassen wir mal alle wissenschaftliche Forschung beiseite. Hier der Bericht eines Großvaters. Walter Fink – pensionierter Kulturchef des ORF – in den „Vorarlberger Nachrichten“:

„Mitten im Streit um die Ziffernnoten an Volksschulen hatte ich ein wunderbares Erlebnis. Meine Enkeltochter, Schülerin in der vierten Montessori-Klasse in der Volksschule Augasse, lud mich ein, an ihrem „Schatzkistentag“ dabei zu sein. Unter diesem Begriff versteht man, dass die Schüler all das, was sie im vergangenen Semester gelernt und geleistet haben, einem von ihnen ausgewählten Kreis präsentieren. Das Ergebnis ist ganz außerordentlich. Da steht ein zehnjähriges Mädchen und redet fast zwei Stunden über ihre Arbeit, erzählt, wie sie was gemacht und wie ihr das auch Freude gemacht hat. So kann man natürlich auch lernen, denke ich mir, ohne Stress und Druck von zu Hause. Denn die Schülerinnen und Schüler der ersten bis vierten Stufe sind in einer Klasse zusammengefasst, die Jüngeren lernen von den Älteren, die Schwächeren von den Besseren. Sie sind den ganzen Tag in der Schule, um vier am Nachmittag kommen sie heim, niemand muss sich darum kümmern, ob die Hausaufgabe gemacht ist. Das alles wird in der Schule erledigt.

In dieser Schatzkiste lag auch eine verbale Beurteilung meiner Enkeltochter. Einmal abgesehen davon, dass sie das Glück hat, eine gute Schülerin zu sein: Was hier auf einer Seite alles angesprochen wurde ist so gut beobachtet, zeigt die Stärken und Schwächen eines Kindes, redet auch über soziales Verhalten, über Entwicklungsmöglichkeiten in verschiedenen Fächern, in Mathematik, Deutsch, musischen Fächern, sportlichen Leistungen. Was ich sagen will: Diese von der Lehrerin großartig formulierte Seite sagt so viel mehr über meine Enkeltochter aus als das offizielle Zeugnis, das eine Woche später folgte, dass mir die Vorteile einer schriftlichen Beurteilung gegenüber einer Ziffernnote geradezu ins Auge sprang.

Zerstört die gute Arbeit

Durch diese Praxis hat sich mir gezeigt, wie weit unsere Schulpolitik von der schulischen Wahrheit entfernt ist. Denn wenn nun gefordert wird, dass ab der dritten Volksschule Ziffernnoten zu geben sind, dann sehen diese Herren Politiker nicht, was sie zerstören. Und in diesem Fall muss man den Bildungspolitikern der ÖVP die Rute ins Fenster stellen. Was sie hier fordern, zerstört die gute Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer. Und noch zum Ende: Wenn man sieht, wie viel Druck auf junge Menschen im Halbjahreszeugnis ausgeübt wird, weil davon der Übertritt ins Gymnasium abhängt, dann sieht man die Notwendigkeit einer ganztägigen Schulform bis 14 Jahre. Das würde den Druck von Eltern, Kindern und Lehrern nehmen – und wieder viel Freiraum für Bildung lassen.“

Wofür ich stehe?

Ich stehe für soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles über meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, Anträge und Ausschussarbeit.


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