24. Juli 2020

Faßmanns Wohlfühlzone beenden!

2020-07-24T11:39:41+02:0024.07.20, 11:26 |Kategorien: Bildung|

Das war angesichts der Situation an Österreichs Schulen, Kindergärten, Hochschulen und Universitäten eine schwer nachvollziehbare Beschreibung seiner Situation. Bildungsminister Heinz Faßmann sieht in Sachen Bildung vollmundig einen „sehr angenehmen Zustand“, weil „wir die Bildungspolitik machen, die wir für richtig erachten.“

Die meisten Kinder, Jugendlichen und Eltern finden den Zustand weniger „angenehm“. Ich habe das in einem Gastkommentar in der „Presse“ zum Ausdruck gebracht (Bildungspolitik – kein „angenehmer Zustand“).

Der Link führt zu einer Bezahlschranke, daher hier mein vollständiger Kommentar :

Bildungspolitik darf kein „angenehmer Zustand“ sein.
Gastkommentar. Wie sich die ÖVP Reformen im Schulwesen konsequent verweigert.

Am vergangenen Wochenende zeigte mir mein Enkel voll stolz sein Abschlusszeugnis der zweiten Klasse Volksschule – einer öffentlichen Schule. Darin zu lesen war von seinen Leistungen, seinen Stärken im kognitiven und kreativen Bereich sowie im Sport, von seiner Sozialkompetenz, aber auch von Verbesserungsmöglichkeiten.

Es war auch ein deprimierendes Erlebnis, denn so ein Zeugnis ist in Österreich nur mehr zusätzlich und freiwillig möglich. Verpflichtende Ziffernnoten ab der zweiten Klasse Volksschule gehörten wie die Separierung von Kindern mit Defiziten in Deutsch zu den Kernprojekten der rückwärtsgewandten türkis-blauen Bildungspolitik und sind nach wie vor in Kraft – gegen den Rat fast aller Fachleute.

Als Bildungsminister Faßmann wegen der Wiedereinführung der verpflichtenden Ziffernnoten in der Volksschule trotz einer fehlenden wissenschaftlichen Grundlage in Erklärungsnotstand geraten war, „rettete“ er sich mit einer irritierenden Aussage: „Es ist eine politische Entscheidung, wie vieles, was ich entscheiden muss. Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung.“ Seit Jahrzehnten scheitern in Österreich Schulreformen an dieser Ignoranz. Evidenzbasierte Politik ist im Bildungsbereich kein Anliegen der Volkspartei.

Wie früher die Sowjets: „Njet!“

Auf Einladung der Grünen habe ich das Kapitel „Bildung“ im Regierungsprogramm mitverhandelt – und konnte dem Ergebnis selbst nicht zustimmen. Die ÖVP hatte in Anlehnung an die Praxis der früheren Sowjetunion bei Beschlüssen im UN-Sicherheitsrat bei jedem Reformvorschlag ein einziges Wort parat: „Njet“ – und selten eine nachvollziehbare Begründung.

Industriellenvereinigung, ÖGB und Arbeiterkammer haben den Reformstillstand jahrelang unisono lautstark kritisiert. Inzwischen scheinen sie ermattet zu sein. Dabei gäbe es leicht umsetzbare Reformschritte.

Statt etwa vom erfolgreichen Südtiroler Modell der Gesamtschule zu lernen, verweigern sich Faßmann und seine Getreuen dem Vorschlag, in Vorarlberg, wo sämtliche (!) Parteien eine Modellregion zur Gemeinsamen Schule fordern, Reformschritte zu erleichtern und de facto zu ermöglichen.

Reformverweigerung

Auch von der kontraproduktiven generellen (!) Separierung von Kindern mit Deutschdefiziten war die ÖVP nicht abzubringen. Kopfschütteln war die Folge: Der Germanist Hannes Schweiger etwa kritisierte die Separierung im „Standard“ scharf. Vor allem, dass Kinder in den „Deutschförderklassen“ vom Sitzenbleiben nicht ausgenommen sind, verschärfe die schon vorhandene Bildungsbenachteiligung zusätzlich.

Ein Ergebnis unseres antiquierten Bildungssystems wurde heuer sichtbar: Etliche Maturantinnen und Maturanten haben bei der schriftlichen Reifeprüfung ein leeres Blatt abgegeben. Dank einer praxisfremden Regelung des Ministers hatten sie die Garantie, eine positive Note zu bekommen. Der Erziehungswissenschaftler Karl Heinz Gruber bezeichnete das als „auf die Spitze getriebene Manifestation eines im österreichischen Schulwesen weit verbreiteten Phänomens“ – der Unkultur des „Einfach-nur-Durchkommens“.

In einem Interview mit der „Presse am Sonntag“ meinte Faßmann, egal ob er mit Grünen oder der FPÖ regiere, er könne „die Bildungspolitik machen, die wir für richtig erachten. Das ist ein sehr angenehmer Zustand.“ Weniger angenehm ist die Faßmann’sche Wohlfühlzone für Österreichs Schulkinder und Jugendliche. Man sollte ihr daher ein Ende setzen!

Dr. Harald Walser (*1953 in Hohenems) ist ehemaliger Nationalrat (2008 bis 2017) und Ex-Bildungssprecher der Grünen.
E-Mails an: debatte@diepresse.com

17. Februar 2020

Geht beides? Ziffernnote und Alternative?

2020-02-17T14:29:34+01:0017.02.20, 14:29 |Kategorien: Bildung|Tags: |

Konservative Kritiker der alternativen Leistungsbeurteilung bis hin zum Minister geben sich gerne großzügig und „erlauben“ zusätzlich zur verpflichtenden Ziffernnote in der Volksschule eine alternative Beurteilung. Völlig abgesehen davon, dass ich es für unzumutbar halte, dass Pädagog*innen genötigt werden, doppelte Arbeit zu leisten, habe ich eine interessante Zusendung quasi „aus der Praxis“ bekommen.

Johanna Aschbacher ist Lehrerin an der Volksschule Rankweil-Brederis und hat mir Folgendes geschrieben. Gerne drucke ich es – mit ihrer Erlaubnis – hier ab:

Mein Name ist Johanna Aschbacher und ich bin seit über 25 Jahre im Schuldienst in der Volksschule, heute Primarstufe, tätig. Seit über 15 Jahren arbeite ich an verschiedenen Standorten mit, eine alternative Beurteilung für Kinder bis 10 Jahre zu entwickeln. Von diversen Kompetenzrastern über „Pensenbuch“ und direkte Leistungsvorlage haben wir alles angeschaut, verglichen, ausgewählt und für den jeweiligen Standort adaptiert. Das Thema ist uns Pädagog_inn_en so wichtig, dass wir unsere Modelle immer wieder überarbeitet haben, um die Aussagekraft zu optimieren und Leistung sichtbar zu machen. In unzähligen Stunden ist es uns gelungen, die Eltern von den Vorteilen der alternativen Beurteilungsformen zu überzeugen.

In der Diskussion über Notenzwang bzw. Wiedereinführung der Ziffernnoten ab der zweiten Schulstufe im 2. Semester, vermisse ich ein grundlegendes Argument, nämlich jenes der Unvereinbarkeit der beiden Beurteilungsmodelle. Erlauben Sie mir, dazu Stellung zu beziehen:

Die Ziffernnote ist für mich ein defizitorientiertes Beurteilungsmodell, defizitär gegenüber von 100%. Dabei spielt auch der Zeitpunkt der Lernziel-Erreichung eine große Rolle. Im Jahreszeugnis findet sich ein Mittelwert der Leistungsbeurteilung für das ganze Schuljahr.

Eine alternative Leistungsbeurteilung hingegen schaut auf die positive Entwicklung der Kindes. Sie macht Erfolge sichtbar vom (Schul)Anfang bis zum Zeitpunkt z.B. des KEL- Gesprächs. Es werden auch Lehrstoff-Themen angesprochen, die vom Kind noch nicht ausreichend bearbeitet und geübt wurden und es wird motiviert, sich damit in den nächsten Tagen und Wochen zu befassen. Das Kind wird dabei unterstützt und begleitet, erfolgreich zu arbeiten. Bei der alternativen Leistungsbeurteilung spielt der Zeitpunkt der Lernziel-Erreichung eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Am Ende steht ein Ist-Wert, dessen Entwicklung dokumentiert wurde.

Der Zugang zur Leistungsbeurteilung der beiden Systeme ist nicht kompatibel. Das ist der wirkliche Grund, warum Pädagog_inn_en, die die alternative Leistungsbeurteilung bevorzugen und leben, mit dem Notenzwang nichts anfangen können. Ganz sicher geht es dabei nicht um eine Überlastung der Pädagog_inn_en, beide Wege zu beschreiten. Nein, die Wege passen einfach nicht zusammen. Sie sind unvereinbar.

Ich bedanke mich, für Ihre Zeit und freue mich darauf, dass Sie in den einen oder anderen Diskussionen bzw. Kommentaren dieses grundlegende Argument auch öffentlich machen werden.

Anmerkung: Ich habe in den letzten Wochen viele Reaktionen von Lehrkräften aus der Volksschule erhalten, dabei ist durchaus auch die Überlastung wegen der doppelten Beurteilung angesprochen worden. Wichtiger aber ist mir jener Aspekt, den Kollegin Aschbacher hier in der Vordergrund stellt: Ziffernnote und alternative Beurteilung sind nicht kompatibel!

15. Februar 2020

Ziffernnote ja oder nein?

2020-02-15T09:38:07+01:0015.02.20, 9:30 |Kategorien: Bildung|Tags: |

Lassen wir mal alle wissenschaftliche Forschung beiseite. Hier der Bericht eines Großvaters. Walter Fink – pensionierter Kulturchef des ORF – in den „Vorarlberger Nachrichten“:

„Mitten im Streit um die Ziffernnoten an Volksschulen hatte ich ein wunderbares Erlebnis. Meine Enkeltochter, Schülerin in der vierten Montessori-Klasse in der Volksschule Augasse, lud mich ein, an ihrem „Schatzkistentag“ dabei zu sein. Unter diesem Begriff versteht man, dass die Schüler all das, was sie im vergangenen Semester gelernt und geleistet haben, einem von ihnen ausgewählten Kreis präsentieren. Das Ergebnis ist ganz außerordentlich. Da steht ein zehnjähriges Mädchen und redet fast zwei Stunden über ihre Arbeit, erzählt, wie sie was gemacht und wie ihr das auch Freude gemacht hat. So kann man natürlich auch lernen, denke ich mir, ohne Stress und Druck von zu Hause. Denn die Schülerinnen und Schüler der ersten bis vierten Stufe sind in einer Klasse zusammengefasst, die Jüngeren lernen von den Älteren, die Schwächeren von den Besseren. Sie sind den ganzen Tag in der Schule, um vier am Nachmittag kommen sie heim, niemand muss sich darum kümmern, ob die Hausaufgabe gemacht ist. Das alles wird in der Schule erledigt.

In dieser Schatzkiste lag auch eine verbale Beurteilung meiner Enkeltochter. Einmal abgesehen davon, dass sie das Glück hat, eine gute Schülerin zu sein: Was hier auf einer Seite alles angesprochen wurde ist so gut beobachtet, zeigt die Stärken und Schwächen eines Kindes, redet auch über soziales Verhalten, über Entwicklungsmöglichkeiten in verschiedenen Fächern, in Mathematik, Deutsch, musischen Fächern, sportlichen Leistungen. Was ich sagen will: Diese von der Lehrerin großartig formulierte Seite sagt so viel mehr über meine Enkeltochter aus als das offizielle Zeugnis, das eine Woche später folgte, dass mir die Vorteile einer schriftlichen Beurteilung gegenüber einer Ziffernnote geradezu ins Auge sprang.

Zerstört die gute Arbeit

Durch diese Praxis hat sich mir gezeigt, wie weit unsere Schulpolitik von der schulischen Wahrheit entfernt ist. Denn wenn nun gefordert wird, dass ab der dritten Volksschule Ziffernnoten zu geben sind, dann sehen diese Herren Politiker nicht, was sie zerstören. Und in diesem Fall muss man den Bildungspolitikern der ÖVP die Rute ins Fenster stellen. Was sie hier fordern, zerstört die gute Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer. Und noch zum Ende: Wenn man sieht, wie viel Druck auf junge Menschen im Halbjahreszeugnis ausgeübt wird, weil davon der Übertritt ins Gymnasium abhängt, dann sieht man die Notwendigkeit einer ganztägigen Schulform bis 14 Jahre. Das würde den Druck von Eltern, Kindern und Lehrern nehmen – und wieder viel Freiraum für Bildung lassen.“

Wofür ich stehe?

Ich stehe für soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles über meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, Anträge und Ausschussarbeit.


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