Regierungsprogramm: Schule als groĂe Sortieranlage

Schule um 1920
Vor lauter Standards, PrĂŒfungen, Noten, Kontrollen und Sanktionen bleibt in diesem Programm kein Platz fĂŒr Unterricht und Bildung. Das Bildungssystem wird zu einer gigantischen Sortieranlage, statt ein Treibhaus fĂŒr Talente, ein Schmelztiegel fĂŒr die Gesellschaft und ein sicherer Raum fĂŒr die Entwicklung jedes einzelnen Kindes zu sein. Das Programm ist schulischer Klassenkampf von oben.
Das Bildungskapitel umfasst neun Seiten, die vieles wiederholen und groĂteils nur unbestimmte Vorhaben enthalten. Das gesamte Bildungswesen soll auf allen Ebenen und Institutionen evaluiert und umgebaut werden. Wie das passieren soll, bleibt vielfach im Dunkeln. Aber jene Vorhaben, die konkreter ausgefĂŒhrt sind, enthalten in fast allen Punkten RĂŒcknahmen vorangegangener Reformschritte. Sie greifen pĂ€dagogische Vorstellungen aus der Nachkriegszeit auf: PrĂŒfen, Separieren, Sanktionieren und Elitenförderung.
Wer nun die Evaluierungen und die vielen neuen standardisierten Testungen machen soll, ist unbestimmt, da das bislang zustĂ€ndige Bildungsforschungsinstitut (Bifie) aufgelöst werden soll. Zu befĂŒrchten ist, dass hier willfĂ€hrige Personen installiert werden, die jene Ergebnisse und Empfehlungen liefern, die dieser Regierung genehm sind. Wie das passieren kann, wurde mittels der Kindergartenstudie von Ednan Aslan eindrucksvoll vorexerziert.
Im gesamten Programm finden wir kein Wort zum Budget, wo jetzt bereits 600 Mio fehlen. Es gibt keine Angaben, wie die zusĂ€tzlichen MaĂnahmen (Testungen, separierte Deutschklassen, ergebnisorientiertes Besoldungsrecht fĂŒr LehrkrĂ€fte, Förderklassen nach der Pflichtschulzeit, Begabtenschulen u.Ă€.) finanziert werden sollen. Gibt es keine Aufstockung des Bildungsbudgets, muss natĂŒrlich in bestehenden Bereichen gekĂŒrzt werden. Der Logik dieser Regierung aus anderen Kapiteln folgend, ist auch hier anzunehmen, dass es jene treffen wird, die am wenigsten haben. Eine MaĂnahme weist bereits darauf hin:  Der Ausbau der ganztĂ€gigen Schulformen fĂŒr die Volksschulen wird gestoppt. Vor allem Kinder, die eine gut betreute Förderung benötigen, werden dafĂŒr den Preis zu bezahlen haben. Die Mittelzuteilung an Schulen lĂ€sst offen, wie das passieren soll. Einen âChancenindexâ, wie ihn die Arbeiterkammer nach klaren Kriterien definiert hat, suchen wir vergeblich.
Das Programm verspricht EntbĂŒrokratisierung â ein völliger Widerspruch, denn gleichzeitig sollen laufend Standards ĂŒberprĂŒft werden. Die Lehrenden werden damit voll beschĂ€ftigt sein.
Die individuelle Förderung, Zeit fĂŒr Entwicklung, Freude am Lernen, gegenseitiges Vertrauen von SchĂŒlerInnen und LehrkrĂ€ften bleiben auf der Strecke. Stattdessen herrschen Druck und Angst vor Sanktionen, letztere nicht nur schulisch, sondern fĂŒr die Familien auch finanziell. Die DurchlĂ€ssigkeit wird erschwert, sogar zusĂ€tzliche Bildungssackgassen werden geschaffen (Sonderschulen, Erschweren der Inklusion).
An mehreren Stellen wird die Einhaltung von Werten eingefordert. Welche Werte gemeint sind, wer diese definiert und wie die Einhaltung kontrolliert werden kann, bleibt unbeantwortet. Einrichtungen, die sich nicht an die Wertekataloge halten, sind von SchlieĂung bedroht. Wir kennen das: 1933 mit der Ausschaltung des Parlaments war eine der ersten MaĂnahmen die EinfĂŒhrung von âvaterlĂ€ndische Erziehungâ in den Schulen. Nur damals war es hĂ€rter und unverhohlener formuliert als heute: Es sollte âder revolutionĂ€re Schuttâ beseitigt werden.
Wir werden RĂŒckschritte in eine Zeit erleben, in der Bildung ein Privileg der Reichen war. Das Programm ist zukunftsfeindlich und hemmt die gesellschaftliche Entwicklung, denn es hindert die Menschen daran, höhere Bildungsziele zu erreichen. Bremsen könnte diese Entwicklung eine Lehrergewerkschaft, die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen wird, und Eltern, die es nicht akzeptieren werden, dass ihr dreijĂ€hriges Kind mit Leistungsbewertungen und Ă€rztlichen Attesten, die digitalisiert bis zum Ende der Schullaufbahn mitgeschleppt werden, vorsortiert wird. Und eventuell der Verfassungsgerichtshof, der geplante MaĂnahmen, die eindeutig diskrimierend sind, kippen wird.
Einzelne MaĂnahmen (Auswahl):
- Neue bzw. zusÀtzliche Leistungsbewertungen ab dem vierten Lebensjahr durchgehend bis zum Ende der Sekundarstufe I
- Digitale Leistungs- und Bildungsdokumentation, die mit dem dritten Geburtstag angelegt (inkl. Ă€rztlicher Atteste) und bis zum Ende der Schullaufbahn gefĂŒhrt und weitergegeben wird.
- Kindergarten-Agenden wandern vom Familien- ins Bildungsressort (positiv)
- Kinder, die bei Testungen âDefiziteâ aufweisen, werden in separierte SondermaĂnahmen gesteckt (z.B. Ghettoklassen fĂŒr Kinder mit Deutschdefiziten, Vorschulklassen)
- Wertekanon vom Kindergarten bis in die Schulen; ab 5. Schulstufe âStaatskundeâ als Teil des Geschichteunterrichts
- Verpflichtender Ethikunterricht, fĂŒr alle, die keinen Religionsunterricht besuchen
- Sanktionen fĂŒr Eltern bis zur KĂŒrzung von Familienleistungen, wenn Kinder bestimmte Vorgaben nicht erfĂŒllen
- Ende der Inklusion: RĂŒckkehr zur Sonderschule
- Ende der verbalen Beurteilung (die seit 2016/17 auch ohne Schulversuch in den ersten drei VS-Klassen möglich war); unter dem Titel: âNotenwahrheitâ sei wieder herzustellen
- Differenziertes Schulsystem mit Trennung nach der Volksschule wird einzementiert; Neuschaffung von Gymnasien und Eliteschulen in allen BundeslÀndern; Ausbau des bilingualen Unterrichts
- Stopp des Ausbaus der ganztĂ€gigen Schulformen in Volksschulen; bei NMS wird bisheriger Fokus beim Ausbau auf verschrĂ€nkten Ganztagsunterricht (abwechselnd Unterricht und Freizeitgestaltung ĂŒber den ganzen Tag) aufgegeben
- Auflösung der Schulsprengel bei NMS
- Umkrempelung des Lehrerdienstrechts (outputorientierte Bezahlung, neues Arbeitszeitmodell)
- Leitungspersonal in elementarpÀdagogischen Einrichtungen soll auf Hochschulniveau ausgebildet werden (positiv)
- Bildungspflicht bis 18, wenn Leistungsnormen in Grundkompetenzen nicht erfĂŒllt werden
- Lehre: Abschaffung der JugendvertrauensrÀte (Lehrlingsvertretung)
Werden alle zarten ReformpflĂ€nzchen unseres Schulsystems zertreten? Die Gefahr besteht, wenn sich das bewahrheiten sollte, was die Medien aus den Regierungsverhandlungen berichten: â
Im September 2015 haben sich alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, die sogenannte Nachhaltigkeits-Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals â SDGs) bis zum Jahr 2030 umzusetzen.