22. Dezember 2017

Regierungsprogramm: Schule als große Sortieranlage

2018-05-21T10:27:53+02:0022.12.17, 9:51 |Kategorien: Bildung|Tags: , |

Schule um 1920

Vor lauter Standards, PrĂŒfungen, Noten, Kontrollen und Sanktionen bleibt in diesem Programm kein Platz fĂŒr Unterricht und Bildung. Das Bildungssystem wird zu einer gigantischen Sortieranlage, statt ein Treibhaus fĂŒr Talente, ein Schmelztiegel fĂŒr die Gesellschaft und ein sicherer Raum fĂŒr die Entwicklung jedes einzelnen Kindes zu sein. Das Programm ist schulischer Klassenkampf von oben.

Das Bildungskapitel umfasst neun Seiten, die vieles wiederholen und großteils nur unbestimmte Vorhaben enthalten. Das gesamte Bildungswesen soll auf allen Ebenen und Institutionen evaluiert und umgebaut werden. Wie das passieren soll, bleibt vielfach im Dunkeln. Aber jene Vorhaben, die konkreter ausgefĂŒhrt sind, enthalten in fast allen Punkten RĂŒcknahmen vorangegangener Reformschritte. Sie greifen pĂ€dagogische Vorstellungen aus der Nachkriegszeit auf: PrĂŒfen, Separieren, Sanktionieren und Elitenförderung.

Wer nun die Evaluierungen und die vielen neuen standardisierten Testungen machen soll, ist unbestimmt, da das bislang zustĂ€ndige Bildungsforschungsinstitut (Bifie) aufgelöst werden soll. Zu befĂŒrchten ist, dass hier willfĂ€hrige Personen installiert werden, die jene Ergebnisse und Empfehlungen liefern, die dieser Regierung genehm sind. Wie das passieren kann, wurde mittels der Kindergartenstudie von Ednan Aslan eindrucksvoll vorexerziert.

Im gesamten Programm finden wir kein Wort zum Budget, wo jetzt bereits 600 Mio fehlen. Es gibt keine Angaben, wie die zusĂ€tzlichen Maßnahmen (Testungen, separierte Deutschklassen, ergebnisorientiertes Besoldungsrecht fĂŒr LehrkrĂ€fte, Förderklassen nach der Pflichtschulzeit, Begabtenschulen u.Ă€.) finanziert werden sollen. Gibt es keine Aufstockung des Bildungsbudgets, muss natĂŒrlich in bestehenden Bereichen gekĂŒrzt werden. Der Logik dieser Regierung aus anderen Kapiteln folgend, ist auch hier anzunehmen, dass es jene treffen wird, die am wenigsten haben. Eine Maßnahme weist bereits darauf hin:  Der Ausbau der ganztĂ€gigen Schulformen fĂŒr die Volksschulen wird gestoppt. Vor allem Kinder, die eine gut betreute Förderung benötigen, werden dafĂŒr den Preis zu bezahlen haben. Die Mittelzuteilung an Schulen lĂ€sst offen, wie das passieren soll. Einen „Chancenindex“, wie ihn die Arbeiterkammer nach klaren Kriterien definiert hat, suchen wir vergeblich.

Das Programm verspricht EntbĂŒrokratisierung – ein völliger Widerspruch, denn gleichzeitig sollen laufend Standards ĂŒberprĂŒft werden. Die Lehrenden werden damit voll beschĂ€ftigt sein.

Die individuelle Förderung, Zeit fĂŒr Entwicklung, Freude am Lernen, gegenseitiges Vertrauen von SchĂŒlerInnen und LehrkrĂ€ften bleiben auf der Strecke. Stattdessen herrschen Druck und Angst vor Sanktionen, letztere nicht nur schulisch, sondern fĂŒr die Familien auch finanziell. Die DurchlĂ€ssigkeit wird erschwert, sogar zusĂ€tzliche Bildungssackgassen werden geschaffen (Sonderschulen, Erschweren der Inklusion).

An mehreren Stellen wird die Einhaltung von Werten eingefordert. Welche Werte gemeint sind, wer diese definiert und wie die Einhaltung kontrolliert werden kann, bleibt unbeantwortet. Einrichtungen, die sich nicht an die Wertekataloge halten, sind von Schließung bedroht. Wir kennen das: 1933 mit der Ausschaltung des Parlaments war eine der ersten Maßnahmen die EinfĂŒhrung von „vaterlĂ€ndische Erziehung“ in den Schulen. Nur damals war es hĂ€rter und unverhohlener formuliert als heute: Es sollte „der revolutionĂ€re Schutt“ beseitigt werden.

Wir werden RĂŒckschritte in eine Zeit erleben, in der Bildung ein Privileg der Reichen war. Das Programm ist zukunftsfeindlich und hemmt die gesellschaftliche Entwicklung, denn es hindert die Menschen daran, höhere Bildungsziele zu erreichen. Bremsen könnte diese Entwicklung eine Lehrergewerkschaft, die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen wird, und Eltern, die es nicht akzeptieren werden, dass ihr dreijĂ€hriges Kind mit Leistungsbewertungen und Ă€rztlichen Attesten, die digitalisiert bis zum Ende der Schullaufbahn mitgeschleppt werden, vorsortiert wird. Und eventuell der Verfassungsgerichtshof, der geplante Maßnahmen, die eindeutig diskrimierend sind, kippen wird.

Einzelne Maßnahmen (Auswahl):

  • Neue bzw. zusĂ€tzliche Leistungsbewertungen ab dem vierten Lebensjahr durchgehend bis zum Ende der Sekundarstufe I
  • Digitale Leistungs- und Bildungsdokumentation, die mit dem dritten Geburtstag angelegt (inkl. Ă€rztlicher Atteste) und bis zum Ende der Schullaufbahn gefĂŒhrt und weitergegeben wird.
  • Kindergarten-Agenden wandern vom Familien- ins Bildungsressort (positiv)
  • Kinder, die bei Testungen „Defizite“ aufweisen, werden in separierte Sondermaßnahmen gesteckt (z.B. Ghettoklassen fĂŒr Kinder mit Deutschdefiziten, Vorschulklassen)
  • Wertekanon vom Kindergarten bis in die Schulen; ab 5. Schulstufe „Staatskunde“ als Teil des Geschichteunterrichts
  • Verpflichtender Ethikunterricht, fĂŒr alle, die keinen Religionsunterricht besuchen
  • Sanktionen fĂŒr Eltern bis zur KĂŒrzung von Familienleistungen, wenn Kinder bestimmte Vorgaben nicht erfĂŒllen
  • Ende der Inklusion: RĂŒckkehr zur Sonderschule
  • Ende der verbalen Beurteilung (die seit 2016/17 auch ohne Schulversuch in den ersten drei VS-Klassen möglich war); unter dem Titel: „Notenwahrheit“ sei wieder herzustellen
  • Differenziertes Schulsystem mit Trennung nach der Volksschule wird einzementiert; Neuschaffung von Gymnasien und Eliteschulen in allen BundeslĂ€ndern; Ausbau des bilingualen Unterrichts
  • Stopp des Ausbaus der ganztĂ€gigen Schulformen in Volksschulen; bei NMS wird bisheriger Fokus beim Ausbau auf verschrĂ€nkten Ganztagsunterricht (abwechselnd Unterricht und Freizeitgestaltung ĂŒber den ganzen Tag) aufgegeben
  • Auflösung der Schulsprengel bei NMS
  • Umkrempelung des Lehrerdienstrechts (outputorientierte Bezahlung, neues Arbeitszeitmodell)
  • Leitungspersonal in elementarpĂ€dagogischen Einrichtungen soll auf Hochschulniveau ausgebildet werden (positiv)
  • Bildungspflicht bis 18, wenn Leistungsnormen in Grundkompetenzen nicht erfĂŒllt werden
  • Lehre: Abschaffung der JugendvertrauensrĂ€te (Lehrlingsvertretung)
28. November 2017

Schule unter Schwarz-Blau: mit Vollgas in die Vergangenheit!

2018-05-21T10:27:54+02:0028.11.17, 14:41 |Kategorien: Bildung|

Werden alle zarten ReformpflĂ€nzchen unseres Schulsystems zertreten? Die Gefahr besteht, wenn sich das bewahrheiten sollte, was die Medien aus den Regierungsverhandlungen berichten: „KoalitionsplĂ€ne: Schulnoten wieder Pflicht, Ausbau der Ganztagsschule“

WĂ€hrend das Stichwort „Ausbau der Ganztagsschule“ zumindest gut klingt – wĂ€re da nicht das Festhalten am Modell der Nachmittagsbetreuung statt einer modernen Schule mit verschrĂ€nktem Unterricht –, schaut es im Bereich der Notengebung aus pĂ€dagogischer Sicht zappenduster aus.

In den letzten Jahren gab es zwei Trends. Einerseits wurde der Unterricht in den Schulen immer stĂ€rker „individualisiert“ beziehungsweise „personalisiert“. Das entspricht den Erkenntnissen der Hirnforschung, dass Lernen ein sehr persönlicher Vorgang ist, bei dem individuelle Vorkenntnisse und Interessen ebenso eine große Rolle spielen wie Talente. Kinder lernen, ihr eigenes „Lern-Tempo“ zu bestimmen und mit ihren Lernschwierigkeiten genauso fertig zu werden wie mit der Entwicklung ihrer besonderen FĂ€higkeiten. Ziffernnoten sind da nicht hilfreich und schon gar nicht aussagekrĂ€ftig.

Andereseits braucht es – und da sind wir beim zweiten Trend – verbindliche Ziele: Im Verlauf der Schulkarriere muss gewĂ€hrleistet sein, dass alle die (Aus-)Bildungs-Ziele erreichen. Dabei sollen die Bildungsstandards helfen. Unserer Schule muss dieser Spagat gelingen: einerseits personalisiertes Lernen und die Entfaltung der individuellen Potenziale, andereseits die verbindliche ErfĂŒllung der Bildungsstandards.

Wir haben im Juli zum Abschluss der Verhandlungen um das Bildungsreformpaket erreicht, dass die bislang rund 2.000 Schulversuche zu einer alternativen Leistungsbeurteilung (bei etwa 3.000 Volksschulen insgesamt) kĂŒnftig ohne das bisherige bĂŒrokratische Prozedere auskommen und LehrkrĂ€fte gemeinsam mit den Eltern mit einem einfachen Beschluss das Aus fĂŒr die Ziffernnote von der ersten bis zur dritten Klasse Volksschule beschließen können. Die angeblichen Vertreter der „direkten Demokratie“ möchten dieses Element demokratischer Selbstbestimmung jetzt wieder rĂŒckgĂ€ngig machen.

ResĂŒmee: Die kĂŒnftige schwarz-blaue Regierung steuert mit Vollgas in die Vergangenheit. Ich fĂŒrchte, das gilt nicht nur fĂŒr die Bildungspolitik.

24. November 2017

FĂŒr ein inklusives Bildungssystem in Österreich

2018-05-21T10:27:54+02:0024.11.17, 16:27 |Kategorien: Bildung|Tags: , |

Im September 2015 haben sich alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, die sogenannte Nachhaltigkeits-Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals – SDGs) bis zum Jahr 2030 umzusetzen.

Aus dem Ziel 4 der Agenda: „Bis 2030 fĂŒr alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherzustellen sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen zu fördern.“

Dazu hat sich auch Österreich verpflichtet. Der Satz aus den „Globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen“ harrt auf Verwirklichung: Die Umsetzung dieses Bildungsziels der Agenda muss nĂ€mlich bis zum Jahr 2030 abgeschlossen (!) sein.

Wie es damit weltweit und in Östereich ausschaut, wird derzeit erörtert. Der UNESCO-Weltbildungsbericht 2017/2018 mit dem Titel „Verantwortung fĂŒr Bildung“ ist am 24. Oktober 2017 in Paris prĂ€sentiert worden, am 5. Dezember werden die Eckpunkte dieses brisanten Berichts und die Rolle Österreichs in Wien prĂ€sentiert.

Dienstag, 5. Dezember 2017 | 17:00 – 20:00 Uhr
BMWFW, Festsaal (3. Stock), Freyung 3, 1010 Wien

Podiumsdiskussion
Verantwortung fĂŒr Bildung – Verbindlichkeit in der Umsetzung des SDG4. Herausforderungen fĂŒr Österreich?

  • Mag. Andreas Thaller, GeneralsekretĂ€r BM Bildung
  • Dr. Harald Walser, Bildungsexperte und ehem. Schuldirektor des BG Feldkirch (Vlbg.)
  • Martin Winkler, Rechnungshof
  • Dr.in Claudia Schreiner, BIFIE Salzburg (angefragt)
  • Dr.in Barbara Herzog-Punzenberger, Johannes Kepler  UniversitĂ€t Linz
  • Derai Al Nuaimi, Bundesjugendvertretung, SDG Watch Austria

    Moderation: Dr.in Margarita Langthaler, ÖFSE

Wir haben in Österreich großen Handlungsbedarf. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten bin ich eingeladen, auf dieser Veranstaltung ĂŒber unser Bildungssystem in Hinblick auf Chancengerechtigkeit und QualitĂ€t zu diskutieren. Wo steht Österreich bei der Umsetzung? Ist das Bildungsziel der Vereinten Nationen bei uns ĂŒberhaupt angekommen? Vor welchen Herausforderungen stehen wir?

WofĂŒr ich stehe?

Ich stehe fĂŒr soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

Hier erfahren sie mehr


Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles ĂŒber meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, AntrĂ€ge und Ausschussarbeit.


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