13. September 2021

Gemeinsame Schule „auf Eis“ gelegt?

2021-09-17T14:19:06+02:0013.09.21, 9:52 |Kategorien: Bildung|Tags: , , |

Die Hoffnungen waren groß, als sich 2015 der Vorarlberger Landtag mit Stimmen aller (!) Parteien zur Gemeinsamen Schule bekannt hat (siehe Symbolfoto).

Inzwischen hat eine Projektgruppe eine detaillierte Studie dazu verfasst, um das Projekt umzusetzen. Und nun?

Nun hat der höchste Beamte im Unterrichtsministerium erklĂ€rt, das Projekt sei „auf Eis“ gelegt. Ein Beamter overruled die Politik? Der Vorgang an sich ist nicht unĂŒblich, das öffentlich zu sagen schon.

In Sachen „Modellregion Gemeinsame Schule“ in Vorarlberg ist das passiert. Dazu mein Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten unter dem Titel „Wo bleibt der Aufschrei?“. Hier zum Nachlesen:

Am Samstag hat Martin Netzer, aus Vorarlberg stammender höchster Beamter im Bildungsministerium, in den „Vorarlberger Nachrichten“ die „Modellregion Gemeinsame Schule“ de facto zu Grabe getragen: Das mit den Stimmen aller Vorarlberger Landtagsparteien beschlossenen Projekt sei „auf Eis gelegt“. Ein Beamter legt „auf Eis“, was die Politik beschlossen hat?

Wird das diese Woche zu einem Aufschrei jener fĂŒhren, die sich sonst „von Wien“ angeblich „nichts sagen“ lassen? Wir werden sehen.

Warum keine Modellregion?

Warum hĂ€lt Netzer nichts von einer grundsĂ€tzlichen Reform? Er meint, die Mittelschule sei keine „Restschule“ und zudem brĂ€uchte unsere Wirtschaft ja mehr Lehrlinge.
Einmal davon abgesehen, dass man eine Lehre bekanntlich erst mit 15 Jahren antreten kann und die Modellregion fĂŒr die Zehn- bis VierzehnjĂ€hrigen konzipiert ist: Die Ausbildungsbetriebe beklagen, dass unser Schulsystem zunehmend weniger ausbildungsfĂ€hige Jugendliche entlĂ€sst. Wer da den Reformverweigerer spielt, gefĂ€hrdet die Zukunft unseres Landes.

Die LehrkrĂ€fte an unseren Mittelschulen sind nicht zu beneiden, ihnen fehlen vor allem in stĂ€dtischen Brennpunktschulen leistungsstarke SchĂŒler_innen, die andere mitziehen. Die moderne Gemeinsame Schule in SĂŒdtirol zeigt, dass Lernschwache und Hochbegabte profitieren. Dort gibt es deutlich weniger Kinder im Problembereich und wesentlich mehr Spitzenleistungen als in Österreich.

Soziale Komponente

Zudem: Der zukĂŒnftigen Ärztin schadet es nicht, wenn sie schon in der Schulbank Kontakt mit der zukĂŒnftigen Krankenschwester hat. Und auch der Herr Architekt sollte vom Leben des Maurers schon vor dem Aufeinandertreffen auf der Baustelle Bescheid wissen.

Der Schriftsteller Arno Geiger hat in seiner großartigen Rede bei der Russ-Preis-Verleihung zurecht kritisiert, dass Österreich in Sachen Chancengleichheit weit hinter vergleichbaren Staaten hinterherhinkt. Keines dieser LĂ€nder trennt die Kinder so frĂŒh wie wir. Zudem verschĂ€rft die ĂŒppige Finanzierung von Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht das Problem staatlicher Schulen zusĂ€tzlich.

Fehlendes Leistungsprinzip

Wenn es um Privatschulen geht, verweisen Konservative gern auf das „Leistungsprinzip“. Netzer selbst bestĂ€tigt aber mit dem Verweis auf viele Studien, dass Privatschulen nicht besser abschneiden als staatliche − im hinteren Leistungsbereich sind sie sogar ĂŒberreprĂ€sentiert. Daran liegt es also nicht, dass schon private Volksschulen derartigen Zulauf haben.

Das liegt wohl eher daran, was mir bei einer hitzigen Bildungsdiskussion ein Primararzt einmal entgegengeschleudert hat, nachdem ihm die sachlichen Argumente ausgegangen waren: „So weit kommt’s noch, dass mein Sohn in der Schule neben einem TĂŒrken sitzt!“

Genau das hÀtte der Entwicklung des Herrn Sohnes gutgetan. Und genau deshalb braucht es einen Aufschrei zu den Aussagen von Martin Netzer!

3. Mai 2021

Chancen(un)gleichheit in der Schule

2021-05-03T09:26:46+02:0003.05.21, 9:26 |Kategorien: Bildung|Tags: , |

Unter dem Titel „Schulk(r)ampf“ habe ich in den „Vorarlberger Nachrichten“ Stellung bezogen zu den sogenannten „informellen Kompetenzmessungen“, die seit letzter Woche in den dritten Klassen der Volksschule durchgefĂŒhrt werden und Grundlage sein sollen, ob ein Kind kĂŒnftig in die AHS darf oder nicht. Ein Irrweg!

RĂŒckwĂ€rts statt vorwĂ€rts geht es in unserem Schulsystem. Schon immer hatten es Kinder aus sozial schwachen Familien in der Schule schwer, die Pandemie hat das Problem noch weiter verschĂ€rft. Statt Gegenmaßnahmen zu setzen, verschĂ€rft das Bildungsministerium das jetzt auch noch.

Seit letzter Woche werden in der dritten Klasse Volksschule sogenannte „informelle Kompetenzmessungen“ durchgefĂŒhrt. Sie haben zwar keinen Einfluss auf die Noten, sind aber Teil der kĂŒnftigen „AHS-Empfehlung“ − gemeinsam mit den Noten der dritten Klasse und der Schulnachricht im ersten Semester der vierten Klasse. Die Kompetenzmessungen heißen somit zwar „informell“, sind es aber nicht.

HĂŒrden fĂŒr Benachteiligte

Die Schulwegentscheidung beginnt kĂŒnftig also schon in der dritte Klasse Volksschule. Das ist europaweit ebenso einzigartig wie falsch. Dennoch gab es weder in den Medien noch seitens der Politik eine öffentliche Diskussion darĂŒber.

Fachleute weisen seit Jahren darauf hin, dass benachteiligte Kinder Zeit brauchen. Sie beginnen ihre Schullaufbahn schon mit einem RĂŒckstand, weil ihr Wortschatz und ihr Sprachvermögen nicht dem von Kindern aus „besseren Kreisen“ entsprechen − das gilt ĂŒbrigens bei weitem nicht nur fĂŒr Kinder aus migrantischen Familien. Umso lĂ€nger sie die Möglichkeit zum gemeinsamen Lernen bekommen, desto grĂ¶ĂŸer sind ihre Bildungschancen.

Wir hingegen trennen die Kinder zu frĂŒh, nehmen vielen die Chance zur Entwicklung und lassen somit einen Großteil des einzigen wirklichen „Rohstoffs“, den Österreich hat, brachliegen: die Kompetenzen vieler Kinder und Jugendlichen.

Corona- und Bildungskrise

Schon jetzt beklagen die oft ausgezeichneten Ausbildungsbetriebe im Land, dass die Qualifikation der Jugendlichen nach der Schule nicht ausreichend sei. Diese haben im Berufsleben dann kaum mehr eine Chance, sind ein Fall fĂŒr das Sozialsystem und beschĂ€ftigen dann nicht selten auch die Gerichte.

Die coronabedingte Verlagerung des Lernens ins hĂ€usliche Umfeld hat das Bildungsproblem verstĂ€rkt. Das belegt auch eine Studie des Instituts fĂŒr Höhere Studien (IHS) unter 4.000 LehrkrĂ€ften. Das eindeutige Ergebnis: Kinder aus sozial schwachen Familien wurden durch die Umstellung auf Fernunterricht noch weiter abgehĂ€ngt.

Keine Lobby fĂŒr Kinder

Mit der „Kompetenzmessung“ in der dritten Klasse legt jetzt der Staat noch eins drauf, statt das Problem zu entschĂ€rfen. Die betroffenen Kinder haben keine Lobby, zahlen aber die Zeche fĂŒr die bildungspolitischen Fehlentscheidungen.

FrĂŒher gab es heftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen ĂŒber die richtige Strategie in der Schulpolitik. Heute hat man den Eindruck, dass sich niemand mehr wirklich fĂŒr eine gerechte und leistungsfĂ€hige Schule einsetzt − außer vielleicht Industriellenvereinigung oder Arbeiterkammer. Das ist eine Tragödie fĂŒr die Kinder. Und fĂŒr die Eltern. Und fĂŒr den Bildungsstandort Österreich.

23. November 2020

Schule der Privilegierten

2020-11-23T09:11:27+01:0023.11.20, 9:11 |Kategorien: Bildung|Tags: |

Vergessen wir auf unsere Zukunft? Man könnte es glauben, denn das Thema „Bildung“ brennt unter den NĂ€geln, scheint aber nur im Zusammenhang mit dem Corona-Virus oder in der schwammigen Soft-Variante der Neos („beste Bildung“ 
) auf. Das Problem liegt aber tiefer: Es ist das Bildungssystem – um es mit dem Bildungswissenschaftler Karlheinz Gruber zu sagen.

Dazu mein Kommentar in den „Vorarlberger Nachrichten“ unter dem Titel „Schule der Privilegierten“, hier zum Nachlesen:

Letzte Woche jubelte nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa: Die Firma BioNTech soll schon Ende Dezember einen Impfstoff gegen das Corona-Virus ausliefern können. Die EU hat sich 300 Millionen Dosen des Biontech-Mittels gesichert. Man spricht von einer Sternstunde der deutschen Wissenschaft.
Dabei war GlĂŒck im Spiel, denn die Schullaufbahn der beiden tĂŒrkischstĂ€mmigen Entwickler war holprig. Dr. Uğur ƞahin berichtet, dass er eigentlich nicht auf das Gymnasium hĂ€tte gehen dĂŒrfen. Sein – deutscher – Nachbar intervenierte erfolgreich fĂŒr ihn. Heute sind wir alle froh darĂŒber.
Schulsystem Àndern?
Im Rahmen der „Montforter Zwischentöne“ fand am Freitag eine Diskussion ĂŒber unser Schulsystem statt. NatĂŒrlich gibt es dazu sehr unterschiedliche ZugĂ€nge und vor allem die Frage: Soll man wirklich 150 Jahre alte Strukturen verĂ€ndern? Man soll, denn das bestehende System ist ineffizient und ungerecht, weil es Kinder aus privilegierten Familien zusĂ€tzlich begĂŒnstigt.
In Österreich spielen die Noten in der Volksschule die Hauptrolle bei der Entscheidung. Es ist aber durch Studien vielfach belegt, dass Kinder aus bildungsfernen Familien auch bei gleicher Leistung schlechter benotet werden. Das geschieht nicht aus Bösartigkeit, sondern weil die Erwartungshaltung bei der Leistungsbeurteilung unbewusst mitspielt.
Nicht nur deshalb ist die PrognosequalitÀt von Ziffernnoten bescheiden. Glaubt wirklich jemand, man könne die Bildungslaufbahn eines nicht einmal zehnjÀhrigen Kindes solide vorhersagen? Das ist schlicht nicht möglich.
In Arbeitszeugnissen wĂŒrde Manager denn auch nie einfallen, ihre ArbeitskrĂ€fte mit Ziffernnoten zu beschreiben. Dort werden erbrachte Leistungen und StĂ€rken möglichst prĂ€zise ausgefĂŒhrt. Insbesondere LehrkrĂ€fte an Volksschulen haben das auch erkannt und aussagekrĂ€ftige Beurteilungsformen eingefĂŒhrt. Leider wurde das zuletzt „von oben“ abgedreht.
ZĂ€hlt nur die Leistung?
Das PhĂ€nomen der BegĂŒnstigung schon Privilegierter ist altbekannt. In schöner Offenheit hat dies der ehemalige britische Premierminister und Literatur-NobelpreistrĂ€ger Winston Churchill beschrieben. Er schreibt in seinen Memoiren, dass er bei der AufnahmeprĂŒfung fĂŒr eine Privatschule nur ein leeres Blatt mit seinem Namen abgegeben hat. Das genĂŒgte und er wurde aufgenommen, denn sein Großvater war der Herzog von Marlborough.
Herzöge gibt es bei uns nicht mehr, aber dem Druck von wortgewĂ€ltige RechtsanwĂ€lten, Ärztinnen, Architekten oder LehrkrĂ€fte können sich LehrkrĂ€fte an Volksschulen oft nur schwer entziehen. Arbeiter oder Putzfrauen tun sich da um einiges schwerer.
In kaum einem Land gibt es noch – wie in Deutschland und Österreich – die viel zu frĂŒhe Trennung von Kindern mit zehn Jahren. Es ist Zeit, diesen Anachronismus zu beenden und Kinder in der Volksschule nicht weiterhin einem unsinnigen Druck auszusetzen.

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Ich stehe fĂŒr soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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