4. Juli 2022

Martin Polaschek: peinliche Performance!

2022-07-04T09:03:55+02:0004.07.22, 9:01 |Kategorien: Bildung|Tags: , , |

Der Reformbedarf des österreichischen Schulsystems ist unter Fachleuten unbestritten. Bildungsminister Martin Polaschek sieht das merkwürdigerweise anders und erklärt beispielsweise das in Vorarlberg langsam keimende, aber noch sehr zarte Pflänzchen „Gemeinsame Schule“ für abgestorben. Es gab vehemente Proteste im Land. Der Minister hat ja auch in anderen Fragen unter Beweis gestellt, dass er bildungspolitisch nicht auf der Höhe der Zeit agiert.

Unter dem Titel „Bildungsnotstand“ haber ich den Reformstau in unserer Bildungspolitik und die peinliche Performance von Martin Polaschek thematisiert. Hier zum Nachlesen:

Ferien! Kinder und Lehrkräfte haben sich nach dem dritten herausfordernden „Corona-Schuljahr“ die Erholungsphase wahrlich verdient. Die politisch Verantwortlichen im Bildungsbereich auch? Da ist auf Bundesebene leider anhaltende Reformverweigerung angesagt.

Betroffen davon sind Kinder, Jugendliche und ihre Eltern. Aber auch die Wirtschaft stöhnt, weil nach neun Jahren Schulpflicht viele angehende Lehrlinge massive Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen haben. Das Problem ist zwar schon alt, hat sich zuletzt aber verschärft. Und damit sind wir bei ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek.

Ländle als Reformmotor

In Vorarlberg gab es schon vor einem Jahrzehnt öffentliche Diskussionen über Reformnotwendigkeiten. Der damalige Schullandesrat Siegi Stemer handelte und bestellte Expertinnen und Experten mit dem Auftrag, eine umfassende Studie über notwendige Veränderungen zu erstellen. Die Empfehlungen dieser Kommission waren eindeutig: Unser Schulsystem behindert Lehrkräfte bei ihrer Arbeit, nimmt Kindern Bildungschancen und führt zu unnötigem und kontraproduktivem Stress.Das Erfreuliche: Daraufhin beschloss der Landtag vor inzwischen sieben Jahren einstimmig (!), in Vorarlberg eine Modellregion für eine Gemeinsame Schule anzustreben. Sogar die FPÖ stimmte zu, weil damals mit der Schuldirektorin Silvia Benzer noch eine erfahrene Bildungsexpertin die Linie vorgab. Mit der Erarbeitung der Details wurden die Universität Innsbruck und die Pädagogische Hochschule in Feldkirch beauftragt. Inzwischen könnte man an die Umsetzung gehen.

Reformstau dank Polaschek

Letzte Woche aber behauptete Bildungsminister Polaschek im VN-Interview, die „Diskussion über die Gemeinsame Schule“ habe „sich erübrigt“? Das gültige Regierungsübereinkommen für die Modellregion verschweigt der Herr Minister. Es gab daher zurecht heftige Reaktionen, zumal Polascheks Haltung bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen ebenso zuwiderläuft wie der erfolgreichen Praxis in Südtirol: Dort zeigen sie uns nämlich seit Jahrzenten, wie eine moderne Gemeinsame Schule funktioniert und haben all das schon umgesetzt, was die Stemer-Kommission vorgeschlagen hat.

Und in Südtirol freut man sich: Die Kinder haben vor allem in der Volksschule weniger Stress, behalten daher viel stärker die naturgegebene Freude am Lernen und erzielen bei allen internationalen Testungen wesentlich bessere Ergebnisse als etwa die Nordtiroler: Es gibt deutlich mehr Spitzenleistungen als in unseren Gymnasien und wesentlich weniger ungenügende Leistungen als in unseren Mittelschulen. „Sonderschulen“ sind abgeschafft, die Sozialkompetenz bei allen im Schulbetrieb gestärkt. Es schadet dem Architekten nämlich keineswegs, wenn er schon in der Schule mit dem späteren Maurer zu tun hat.

Polaschek selbst – ganz Fan von Ziffernnoten – beurteilte seine bisherige Perfomance trotz Reformstau mit „Gut“. Willi Witzemann als Vertreter der Vorarlberger Lehrkräfte konnte ob dieser Fehleinschätzung nur milde den Kopf schütteln.

13. September 2021

Gemeinsame Schule „auf Eis“ gelegt?

2021-09-17T14:19:06+02:0013.09.21, 9:52 |Kategorien: Bildung|Tags: , , |

Die Hoffnungen waren groß, als sich 2015 der Vorarlberger Landtag mit Stimmen aller (!) Parteien zur Gemeinsamen Schule bekannt hat (siehe Symbolfoto).

Inzwischen hat eine Projektgruppe eine detaillierte Studie dazu verfasst, um das Projekt umzusetzen. Und nun?

Nun hat der höchste Beamte im Unterrichtsministerium erklärt, das Projekt sei „auf Eis“ gelegt. Ein Beamter overruled die Politik? Der Vorgang an sich ist nicht unüblich, das öffentlich zu sagen schon.

In Sachen „Modellregion Gemeinsame Schule“ in Vorarlberg ist das passiert. Dazu mein Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten unter dem Titel „Wo bleibt der Aufschrei?“. Hier zum Nachlesen:

Am Samstag hat Martin Netzer, aus Vorarlberg stammender höchster Beamter im Bildungsministerium, in den „Vorarlberger Nachrichten“ die „Modellregion Gemeinsame Schule“ de facto zu Grabe getragen: Das mit den Stimmen aller Vorarlberger Landtagsparteien beschlossenen Projekt sei „auf Eis gelegt“. Ein Beamter legt „auf Eis“, was die Politik beschlossen hat?

Wird das diese Woche zu einem Aufschrei jener führen, die sich sonst „von Wien“ angeblich „nichts sagen“ lassen? Wir werden sehen.

Warum keine Modellregion?

Warum hält Netzer nichts von einer grundsätzlichen Reform? Er meint, die Mittelschule sei keine „Restschule“ und zudem bräuchte unsere Wirtschaft ja mehr Lehrlinge.
Einmal davon abgesehen, dass man eine Lehre bekanntlich erst mit 15 Jahren antreten kann und die Modellregion für die Zehn- bis Vierzehnjährigen konzipiert ist: Die Ausbildungsbetriebe beklagen, dass unser Schulsystem zunehmend weniger ausbildungsfähige Jugendliche entlässt. Wer da den Reformverweigerer spielt, gefährdet die Zukunft unseres Landes.

Die Lehrkräfte an unseren Mittelschulen sind nicht zu beneiden, ihnen fehlen vor allem in städtischen Brennpunktschulen leistungsstarke Schüler_innen, die andere mitziehen. Die moderne Gemeinsame Schule in Südtirol zeigt, dass Lernschwache und Hochbegabte profitieren. Dort gibt es deutlich weniger Kinder im Problembereich und wesentlich mehr Spitzenleistungen als in Österreich.

Soziale Komponente

Zudem: Der zukünftigen Ärztin schadet es nicht, wenn sie schon in der Schulbank Kontakt mit der zukünftigen Krankenschwester hat. Und auch der Herr Architekt sollte vom Leben des Maurers schon vor dem Aufeinandertreffen auf der Baustelle Bescheid wissen.

Der Schriftsteller Arno Geiger hat in seiner großartigen Rede bei der Russ-Preis-Verleihung zurecht kritisiert, dass Österreich in Sachen Chancengleichheit weit hinter vergleichbaren Staaten hinterherhinkt. Keines dieser Länder trennt die Kinder so früh wie wir. Zudem verschärft die üppige Finanzierung von Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht das Problem staatlicher Schulen zusätzlich.

Fehlendes Leistungsprinzip

Wenn es um Privatschulen geht, verweisen Konservative gern auf das „Leistungsprinzip“. Netzer selbst bestätigt aber mit dem Verweis auf viele Studien, dass Privatschulen nicht besser abschneiden als staatliche − im hinteren Leistungsbereich sind sie sogar überrepräsentiert. Daran liegt es also nicht, dass schon private Volksschulen derartigen Zulauf haben.

Das liegt wohl eher daran, was mir bei einer hitzigen Bildungsdiskussion ein Primararzt einmal entgegengeschleudert hat, nachdem ihm die sachlichen Argumente ausgegangen waren: „So weit kommt’s noch, dass mein Sohn in der Schule neben einem Türken sitzt!“

Genau das hätte der Entwicklung des Herrn Sohnes gutgetan. Und genau deshalb braucht es einen Aufschrei zu den Aussagen von Martin Netzer!

3. Mai 2021

Chancen(un)gleichheit in der Schule

2021-05-03T09:26:46+02:0003.05.21, 9:26 |Kategorien: Bildung|Tags: , |

Unter dem Titel „Schulk(r)ampf“ habe ich in den „Vorarlberger Nachrichten“ Stellung bezogen zu den sogenannten „informellen Kompetenzmessungen“, die seit letzter Woche in den dritten Klassen der Volksschule durchgeführt werden und Grundlage sein sollen, ob ein Kind künftig in die AHS darf oder nicht. Ein Irrweg!

Rückwärts statt vorwärts geht es in unserem Schulsystem. Schon immer hatten es Kinder aus sozial schwachen Familien in der Schule schwer, die Pandemie hat das Problem noch weiter verschärft. Statt Gegenmaßnahmen zu setzen, verschärft das Bildungsministerium das jetzt auch noch.

Seit letzter Woche werden in der dritten Klasse Volksschule sogenannte „informelle Kompetenzmessungen“ durchgeführt. Sie haben zwar keinen Einfluss auf die Noten, sind aber Teil der künftigen „AHS-Empfehlung“ − gemeinsam mit den Noten der dritten Klasse und der Schulnachricht im ersten Semester der vierten Klasse. Die Kompetenzmessungen heißen somit zwar „informell“, sind es aber nicht.

Hürden für Benachteiligte

Die Schulwegentscheidung beginnt künftig also schon in der dritte Klasse Volksschule. Das ist europaweit ebenso einzigartig wie falsch. Dennoch gab es weder in den Medien noch seitens der Politik eine öffentliche Diskussion darüber.

Fachleute weisen seit Jahren darauf hin, dass benachteiligte Kinder Zeit brauchen. Sie beginnen ihre Schullaufbahn schon mit einem Rückstand, weil ihr Wortschatz und ihr Sprachvermögen nicht dem von Kindern aus „besseren Kreisen“ entsprechen − das gilt übrigens bei weitem nicht nur für Kinder aus migrantischen Familien. Umso länger sie die Möglichkeit zum gemeinsamen Lernen bekommen, desto größer sind ihre Bildungschancen.

Wir hingegen trennen die Kinder zu früh, nehmen vielen die Chance zur Entwicklung und lassen somit einen Großteil des einzigen wirklichen „Rohstoffs“, den Österreich hat, brachliegen: die Kompetenzen vieler Kinder und Jugendlichen.

Corona- und Bildungskrise

Schon jetzt beklagen die oft ausgezeichneten Ausbildungsbetriebe im Land, dass die Qualifikation der Jugendlichen nach der Schule nicht ausreichend sei. Diese haben im Berufsleben dann kaum mehr eine Chance, sind ein Fall für das Sozialsystem und beschäftigen dann nicht selten auch die Gerichte.

Die coronabedingte Verlagerung des Lernens ins häusliche Umfeld hat das Bildungsproblem verstärkt. Das belegt auch eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) unter 4.000 Lehrkräften. Das eindeutige Ergebnis: Kinder aus sozial schwachen Familien wurden durch die Umstellung auf Fernunterricht noch weiter abgehängt.

Keine Lobby für Kinder

Mit der „Kompetenzmessung“ in der dritten Klasse legt jetzt der Staat noch eins drauf, statt das Problem zu entschärfen. Die betroffenen Kinder haben keine Lobby, zahlen aber die Zeche für die bildungspolitischen Fehlentscheidungen.

Früher gab es heftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen über die richtige Strategie in der Schulpolitik. Heute hat man den Eindruck, dass sich niemand mehr wirklich für eine gerechte und leistungsfähige Schule einsetzt − außer vielleicht Industriellenvereinigung oder Arbeiterkammer. Das ist eine Tragödie für die Kinder. Und für die Eltern. Und für den Bildungsstandort Österreich.

Wofür ich stehe?

Ich stehe für soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles über meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, Anträge und Ausschussarbeit.


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