Verantwortung wahrnehmen!
Die Verteufelung von Kompromissen hindert Politik und Gesellschaft daran, zu vernĂŒnftigen Lösungen zu kommen. Philosophen und Soziologen wie Max Weber haben das oft bemĂ€ngelt. Der Ukraine-Krieg ist ein Beispiel dafĂŒr: Justament-Standpunkte bringen uns nicht weiter. Verantwortung wahrnehmen heiĂt auch, nach Kompromissen zu suchen. Unter dem Titel âEin Hoch dem Kompromiss!â habe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar geschrieben.
In den letzten zwei Wochen hat die Hoffnung auf ein Ende des Tötens in der Ukraine Nahrung erhalten. Nicht wenige aber sehen Verhandlungen mit Putin kritisch: Darf man mit einem Kriegsverbrecher ĂŒberhaupt verhandeln?
Der deutsche Soziologe Max Weber hat als politische Handlungsmaxime vor ĂŒber hundert Jahren den Begriff der âVerantwortungsethikâ geprĂ€gt und diesem den Begriff âGesinnungsethikâ gegenĂŒbergestellt. Letzteres ist eine Haltung, die sich an ethischen Werten nicht nur orientiert, sondern sie als Maxime immer und ĂŒberall durchzuhalten versucht.
Zurecht hat Weber darauf hingewiesen, dass jemand, der stur an seinen reinen Prinzipien festhĂ€lt, in der politischen Praxis groĂen Schaden anrichten kann. Es gibt daher auch mit den Taliban in Afghanistan diplomatische Kontakte, Israel verhandelt mit den Terroristen der Hamas usw.
UnabhĂ€ngig davon, dass das âBöseâ nicht selten nicht so eindeutig nur auf einer Seite zu finden ist: Es ist absurd, wenn heute mit platten BegrĂŒndungen (âPutin ist nicht paktfĂ€higâ) gegen Verhandlungen mit Russland argumentiert wird: Ist zehntausendfaches Sterben in der Ukraine gerechtfertigt, nur weil man mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Untaten des Verhandlungspartners zeigen kann?
Besonnene Politiker wie der frĂŒhere deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wurden wegen ihrer zögerlichen Haltung im Ukraine-Konflikt hĂ€ufig zu Unrecht kritisiert. Andere pochten auf bedingungslose HĂ€rte gegenĂŒber der Atommacht Russland. Das Ergebnis: Die russischen Truppen sind weiter vorgerĂŒckt und es gab zehntausende Tote. HĂ€tten Waffenstillstandsverhandlungen wie jene im Jahr 2023 zu Beginn des Krieges in Istanbul dem ĂŒberfallenen Land nicht viel Leid erspart? Die Frage ist wohl nicht eindeutig zu beantworten.
Tatsache aber ist, dass die jetzt angedachten âLösungenâ fĂŒr die ukrainische Seite weitaus schmerzhafter sind als jene, die damals zur Diskussion standen. Nicht wenige fragen sich daher, ob die gesinnungsethische Haltung von damals richtig war. Haben jene recht (behalten), die fĂŒr eine harte Linie gegenĂŒber Russland eingetreten sind oder noch immer eintreten? Oder jene, die gemeint haben: Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen, Russland darf ihn nicht gewinnen, also suchen wir einen Kompromiss.
NatĂŒrlich muss ein Waffenstillstand Sicherheitsgarantien des Westens fĂŒr die Ukraine und das Einfrieren einer Frontlinie garantieren. Es muss auch gewĂ€hrleistet sein, dass sich das ĂŒberfallene Land wirtschaftlich wieder erholen kann. Es braucht eine nĂŒchterne AbwĂ€gung von Vor- und Nachteilen einer Vertragslösung: Wer sichert die Grenzen? Wer zahlt fĂŒr den Wiederaufbau? Ein wirklicher Frieden ist das dann natĂŒrlich noch immer nicht, aber ein wichtiger Schritt dazu.
Gesinnungsethik oder doch Verantwortungsethik? Die Antwort liegt wohl auf der Hand!