Politische Sternstunden?
Gibt es in diesen politisch so tristen Zeiten auch ein paar Hoffnungsschimmer? Es gibt sie. Man denke etwa an den Stimmungswechsel in den USA nach dem Verzicht auf ein erneutes Antreten bei den Präsidentschaftswahlen durch Joe Biden oder die klare Abgrenzung gegen Rechtsaußen im EU-Parlament.
Unter dem Titel „Demokratische Sternstunden?“ habe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:
War es eine „demokratische Sternstunde“, als das EU-Parlament vorletzte Woche bei der Konstituierung ein breites demokratisches Bündnis gegen die erstarkten rechtsradikalen Parteien geschmiedet hat? Kein Mitglied der äußersten Rechten wurde in eine wichtige Funktion gewählt.
Die Allianz im EU-Parlament reichte von den Christdemokraten über Liberale, Sozialdemokraten und Grüne bis zu den Linken. Der in vielen europäischen Staaten existierende „Cordon sanitaire“ gegen Rechtsextreme – etwa in Frankreich oder Deutschland – existiert derzeit auch im EU-Parlament.
Man hat offenkundig aus der Geschichte gelernt. In der Zwischenkriegszeit haben Demokraten in vielen Ländern geglaubt, auch mit den Feinden der Demokratie zusammenarbeiten zu können. Das Ergebnis waren zahlreiche faschistische Diktaturen.
Die Abgeordneten im EU-Parlament haben aber auch gezeigt, dass sie aus der jüngsten Geschichte gelernt haben. Ungarn und Polen sind warnende Beispiele. In Ungarn macht Viktor Orbán aus seiner Verachtung der liberalen Demokratie keinen Hehl und verändert das politische System in Richtung eines autoritären Staates. In Polen haben die Wahlberechtigten eine ähnliche Entwicklung gerade noch gestoppt. Doch das Rückgängigmachen der autoritären Wende ist schwer genug. Kommt die Abstimmung im EU-Parlament also gerade noch zur rechten Zeit? Ist sie eine „demokratische Sternstunde“?
Der Begriff „Sternstunde“ wurde bekannt durch das 1927 erschienene Buch „Sternstunden der Menschheit“ des Schriftstellers Stefan Zweig – seine Mutter stammte übrigens aus Hohenems. Dieses Buch wird derzeit in dramatisierter Form mit großem Erfolg bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. Zweig schildert zentrale geschichtliche Ereignisse, die oft durch – für die Zeitgenossen nicht selten unscheinbare – Begebenheiten herbeigeführt wurden.
Ein solches Ereignis könnte sowohl die Abstimmung im EU-Parlament sein als auch die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, angesichts desaströser Umfragewerte nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten. Das Aufatmen in den Demokratien des Westens war deutlich hörbar – zumal Trump ganz offen das Ende der Demokratie angekündigt hat, wenn er gewählt wird: „Geht raus und wählt! Nur dieses Mal. Ihr werdet es nie wieder tun müssen.“
Hat sich deshalb in den USA in den letzten Tagen der Wind gedreht? Der designierten Kandidatin Kamala Harris ist jedenfalls die Mobilisierung traditioneller Wählergruppen der Demokraten sehr schnell gelungen: Frauen, Junge, Schwarze und Latinos. In den Umfragen liegt sie inzwischen sogar schon knapp vor Trump.
Zweigs Buch „Sternstunden“ erschien mit 14 Kapiteln und liegt in den Buchhandlungen nach wie vor auf. Die scheinbar nicht so wichtige Entscheidung des EU-Parlaments, vor allem aber Rückzug Bidens und die Wahl im November hätten den großen Humanisten vielleicht zu weiteren Kapiteln animiert.