Kapitalismus in Nöten
Greift der amerikanische Präsident wirklich der „Freiheit“, ja der Demokratie in den Schritt, wie das einst Lennart Gäbel in einer Karikatur genial auf den Punkt gebracht hat? Gerät die Welt völlig aus den Fugen? Es ist nicht allein Trump, auch sonst mehren sich die Zeichen, dass unser politisches System zunehmend in große Turbulenzen gerät. Das angeblich „freie Spiel der Kräfte“ in der Wirtschaft ist schon längst ein Spiel unvorstellbar reicher und mächtiger Oligarchen. In den Vorarlberger Nachrichten habe ich dazu unter dem Titel einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:
Man kann es Ironie der Geschichte nennen, eine tragische Fehlentwicklung, das Resultat kapitalistischer Gier oder geplante Planlosigkeit. Großbritannien war jahrzehntelang führend in der Stahlherstellung. Doch ausgerechnet das Mutterland des modernen Kapitalismus musste nach einer langen Phase neoliberaler Wirtschaftspolitik befürchten, demnächst ohne Stahlproduzenten dazustehen. Das letzten Stahlwerk stand kurz vor dem Aus.
Doch das britische Parlament hat am letzten Samstag die Reißleine gezogen und beschlossen, die Schließung des Werks durch eine Art Enteignung des chinesischen Betreibers zu verhindern. Formal bleiben die Eigentumsverhältnisse zwar unangetastet. Der Staat übernimmt aber die Kontrolle. Er muss aber auch für die enormen Verluste – täglich über 800.000 Euro – aufkommen.
Wieder einmal also müssen Steuerzahler:innen einspringen. Wir kennen das: Überreiche Profiteure des Systems fahren zwar die riesigen Gewinnen ein, stehlen sich aber in der Krise aus der Verantwortung. Einige wenige häufen immense Vermögen an, während andere nicht wissen, wie sie ihr tägliches Leben finanzieren sollen. Letztere müssen dann aber sogar noch über ihre Steuern für die Verluste der Konzerne aufkommen.
Wegen fehlender Finanzmittel sind die Staaten dann oft nicht in der Lage, genügend Geld für Schulen, Kindergärten, Soziales und die Krankenversorgung bereitzustellen oder Umweltprobleme und Klimaschutz angemessen anzugehen. Auch Vorarlberg exerziert diese Zukunftsvergessenheit derzeit vor. Gigantische Straßenprojekte wie die S18 oder die unsägliche Tunnelspinne scheinen kein Problem zu sein. Bei Kindern, armutsgefährdeten Menschen, solchen mit Behinderung und der Versorgung von Kranken hingegen kann offenbar problemlos gespart werden.
Die Folgen dieser Einstellung spüren wir bei uns genauso wie weltweit seit Jahren: Erosion demokratischer Strukturen nicht zuletzt wegen der wachsenden Beeinflussung politischer Entscheidungen durch die wirtschaftlich Mächtigen. Das gefährdet die innenpolitische Stabilität und den sozialen Frieden.
War der Beschluss der britischen Regierung vom letzten Samstag trotz der gigantischen Kosten richtig? Man muss die Frage wohl mit Ja beantworten, denn in einer von Planlosigkeit geprägten instabilen Welt und dem amerikanischen Handelsprotektionismus wäre die vollständige Abhängigkeit Großbritanniens von Stahlimporten nicht zuletzt nach dem Austritt aus der EU viel zu riskant.
Wenn der ehemalige Chef der Industriellenvereinigung angesichts der wirren und fast im Tagesrhythmus wieder zurückgenommenen Weisungen aus dem Weißen Haus kürzlich in der „Neuen“ gemeint hat „Fakt ist, Trump hat einen Plan“ erstaunt das zwar selbst hartgesottene Neoliberale. Allerdings gehört ja „Planlosigkeit als Plan“ zur anscheinend angestrebten Wirtschaftsform.