Die EU steht am Scheideweg: Geht es weiter als solidarische Gemeinschaft oder geht es nicht mehr weiter? Unter dem Titel „Schrebergarten-Mentalität?“ habe ich in meiner Kolumne in den „Vorarlberger Nachrichten“ die Haltung der „geizigen Vier“ – die sich selbst „sparsame Vier“ nennen – thematisiert. Gerade das Beispiel USA nach dem Zweiten Weltkrieg (Stichwort „Marshall-Plan“) sollte Sebastian Kurz & Co zu denken geben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Europa in Trümmern. In vielen Staaten sympathisierte ein Teil der Menschen mit dem sowjetischen Modell, der andere hatte wenig Hoffnung auf ein „Auferstehen aus Ruinen“. Wie sollte es weitergehen?

Da entwickelte der amerikanische Außenminister den nach ihm benannten „Marshallplan“. Es war ein riesiges Konjunkturprogramm. Die USA schickten Lebensmittel, Rohstoffe, Maschinen und Fahrzeuge nach Europa und vergaben zudem Milliarden-Kredite. Österreich bekam sogar Geld geschenkt. Die USA handelten dabei auch (!) eigennützig, denn der Einfluss der UdSSR wurde zurückgedrängt, die Europäer kauften amerikanische Waren und kurbelten so die US-Wirtschaft an.

Merkel-Macron-Plan

Eine ähnliche Idee bewog Angela Merkel und Emanuel Macron zu ihrem Programm für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise: 500 Milliarden Euro sollen in Form von Zuschüssen zur Verfügung gestellt werden.

Der Plan hat eine Schwäche, weil er die Klimakrise ignoriert: Das Geld soll an Automobilindustrie, zivile Luftfahrt und Massentourismus gehen. Weiter mit Vollgas auf die Wand zu? Das kann nicht sinnvoll sein. Investitionen müssen ein Umdenken signalisieren und die Situation für ein Comeback des sozialen Gedankens in der Politik und den versprochenen „Green Deal“ nützen. Die EU-Kommission fordert daher zurecht bis zu 60 Milliarden Euro für emissionsfreie Antriebe sowie weitere Mittel für Elektroladesäulen usw. Das Geld ist dringend nötig. Den reicheren Staaten nördlich der Alpen blieben so zentrale Handelspartner erhalten. Hochverschuldete Länder hingegen könnten ihre Wirtschaft wieder mit zukunftsweisenden Investitionen in Schwung bringen und somit Staatseinnahmen sichern. Ansonsten droht der wirtschaftliche Kollaps, der schlussendlich alle mit in einen Abwärtsstrudel ziehen würde.

Woche der Wahrheit

Doch was passierte? Bundeskanzler Sebastian Kurz preschte im Bündnis mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden (die „geizigen Vier“) vor. Sie fordern „Kredite statt Zuschüsse“ und könnten den Vorschlag noch scheitern lassen. Wie auch Deutschland „zahlen“ sie ja derzeit teilweise Minus-Zinsen – bekommen also bei Kreditaufnahmen Geld geschenkt. Aber Italien, Griechenland oder Spanien? Wie sollen sie weitere Zinsbelastungen stemmen?

Wirtschaftswissenschaftler weisen seit Jahren darauf hin, dass die früheren Hartwährungs-Länder auf Kosten der südlichen Staaten vom Euro profitieren und die wirtschaftliche Schere immer weiter auseinandergeht. Hilfe für diese Länder ist angesichts der engen wirtschaftlichen Verflechtungen zum Nutzen aller. Immerhin ist beispielsweise Italien Österreichs zweitwichtigster europäischer Handelspartner.

Diese Woche geht’s in Brüssel ans Eingemachte. Die EU-Kommission muss ein konsensfähiges Modell präsentieren. Es ist zu hoffen, dass es zu einem vernünftigen Kompromiss kommt und die europäische Solidarität Oberhand gewinnt vor einer verhängnisvollen Schrebergarten-Mentalität.