30. Januar 2017

„Du unterrichtest in einer NMS in Wien?“ … und dann beginne ich zu erzählen (Gastbeitrag)

2017-01-30T08:23:55+01:0030.01.17, 8:23 |Kategorien: Bildung|Tags: |

In den Klassen sitzen verschiedene Kinder. Kinder mit guten Deutschkenntnissen und schlechten Mathematikkenntnissen, Kinder mit großem Interesse für Naturwissenschaften und weniger großem Interesse für Englisch, Sportskanonen, Beatboxer, Youtuber, Zauberkünstler, … darunter Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder ohne Migrationshintergrund, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Mädchen mit knallbuntgefärbten Haaren, Mädchen mit Kopftüchern, Buben, die mit dem Longboard zur Schule fahren. Einige haben Börek in ihrer Jausenbox, andere haben heute unglücklicherweise schon wieder Chips mit. Matthias hat heute seinen Spindschlüssel vergessen. Aber er kann seine Schuhe in den Spind von Ayse stellen …

„Habt ihr wirklich so viele Ausländer?“ – „Naja, die meisten sind österreichische Staatsbürger. Viele haben Migrationshintergrund ….“ – „Hast du auch Flüchtlinge? Jetzt wollen sie ja auch die Sonderschulen abschaffen, hab‘ ich gehört!?“ Dann beginne ich zu erzählen, was meine Schüler ausmacht, dass jeder und jede von ihnen ganz besonders ist und wie sehr ich das Zusammenkommen der unterschiedlichen Kulturen liebe.

Aber nicht alle finden das so toll wie ich. Es macht ja schließlich auch viele Probleme! „Was tust du eigentlich, wenn dir jemand wegen seiner Religion nicht die Hand geben will, weil du eine Frau bist?“ – „Das kam bei mir noch nie vor …“ – „Aber wenn es mal vorkommt? Was würdest du dann machen?“ – „Dann würde ich mit der Person das Gespräch suchen und eventuell jemanden dazu holen, der in dieser Angelegenheit gut vermitteln kann.“ – „Und wen?“ – „Unseren Direktor zum Beispiel. Oder den islamischen Religionslehrer. Der spricht übrigens fließend Deutsch und Arabisch und ist bei vielen Elterngesprächen in seiner Freizeit dabei, um zu übersetzen.“

An meiner Schule haben wir ein tolles Team. Die Antworten auf Probleme suchen wir gemeinsam. Wir greifen einander unter die Arme. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen inspirieren mich und sind Vorbilder für mich. Unser Lehrerzimmer ist so etwas wie eine Oase, wo du Kraft tankst und aufgebaut wirst, wenn irgendetwas nicht nach Plan gelaufen ist. Als Junglehrerin kommt das vor. Leider ist das aber nicht überall so. Von befreundeten Kolleginnen an anderen Schulen höre ich oft von Frustration und Überforderung, die auf die Stimmung im Kollegium drückt. Das macht den Alltag vielerorts nicht gerade zum Zuckerschlecken, wo es dann vorwurfsvoll heißt: „Deine Klasse hat schon wieder … “.

Die Neue Mittelschule ist per Definition eine Gesamtschule. Es wird versucht, die Schüler/innen nach ihren Stärken zu fördern und sie nach Möglichkeit auf AHS-Niveau zu unterrichten, um die Durchlässigkeit nach der 4. Klasse dorthin zu erhöhen. In denselben Klassenverbänden werden auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf beschult, und wir versuchen, sie bestmöglich in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Für unsere Neuankömmlinge in Österreich, viele davon anerkannte Flüchtlinge, werden Deutschkurse abgehalten, und wir versuchen ihnen einen erfolgreichen Einstieg in unser Bildungssystem zu ermöglichen.

Um der Meinung zu sein, dass es funktionieren kann, Kinder mit so vielen unterschiedlichen Bedürfnissen in einer Klasse gemeinsam und noch dazu erfolgreich zu unterrichten, braucht es keineswegs nur Idealismus. Es braucht innovative Konzepte und Mut zur Veränderung in einem verkrusteten System. Vielerorts haben wir uns gottseidank schon vom ausschließlichen Frontalunterricht und vom Bild der Lehrpersonen als Einzelkämpfer/in verabschiedet. Bei uns in der Schule stehen zumindest in den Hauptfächern Teams in den Klassen. Zu Spitzenzeiten sind das bis zu drei Lehrer/innen pro Klasse. Dabei nützen wir auch die räumlichen Ressourcen unseres Schulgebäudes bis ins letzte Eck aus. Wir sprechen uns bezüglich der Unterrichtsgestaltung im Vorhinein miteinander ab und versuchen mit Herz und Verstand das Beste aus den Schüler/innen herauszuholen.

Und trotzdem kommt es auch bei uns in der Schule vor, dass nicht alles immer so läuft, wie wir das gerne hätten. Oft bleibt es eben nur beim Versuch, etwas zu schaffen. Beim Versuch, die Schüler nach ihren individuellen Stärken zu fördern. Beim Versuch, auf alle Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Beim Versuch, immer fair zu sein. Beim Versuch, Probleme nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen und sie nicht mit nach Hause zu nehmen. Je mehr Energie man in etwas gesteckt hat, desto größer auch die Frustration.

Wichtig ist, in diesen Situationen nicht alleine zu sein. In unserer Schule steht die Tür zur Direktion aus diesem Grund immer offen, und wir werden nicht müde zu betonen, alle im selben Boot zu sitzen. Die Beratungslehrerin müssen wir uns zwar mit einer anderen Schule teilen, doch ihre professionelle und menschliche Unterstützung ist unverzichtbar. Beratung kann zudem alle zwei Wochen bei der Schulpsychologin eingeholt werden. Auch mobile Sozialarbeiter/innen werden in Einzelfällen hinzugezogen. Nicht die Qualität, sehr wohl aber das Ausmaß dieser Unterstützungsformen wäre ausbaufähig. Sinnvoll wäre sicherlich Verwaltungspersonal an Schulen, um die Zeit in der Schule als Lehrer/in auch wirklich mit den Schüler/innen zu verbringen, anstatt in den Pausen zwischen Tür und Angel den Kopierer zu warten oder am Telefon Krankmeldungen entgegenzunehmen.

Die Herausforderungen werden in den nächsten Jahren sicher nicht weniger werden. Aktuell beschäftigt das Thema Inklusion die Bildungspolitik. Eine Abschaffung der Sonderschulen steht im Raum – ebenso der Ausbau von ganztägigen Schulformen. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sind unsere Ressourcen, sowohl räumlich als auch personell, sehr knapp bemessen. Um die derzeitigen und künftigen Herausforderungen meistern zu können, braucht es daher aus meiner Sicht genügend motiviertes und gut ausgebildetes Personal sowie räumliche Verhältnisse in den Schulen, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, die sich dort entfalten sollen. Und das muss noch kommen, bevor weitere Herausforderungen anstehen.

Autorin: Julia Holzer
Julia Holzer ist Jahrgang 1992 und unterrichtet seit September 2013 in einer Neuen Mittelschule in Wien Floridsdorf. Berufsbegleitend studiert sie Psychologie an der Universität Wien.

24. Januar 2017

Es droht Lehrkräftemangel wie in den 60er-Jahren

2017-01-24T10:40:06+01:0024.01.17, 10:38 |Kategorien: Bildung|Tags: |

Den Kopf einfach in den Sand stecken? Das scheint mir angesichts eines auf uns zukommenden Lehrkräftemangels die Reaktion vieler Verantwortlicher zu sein.

Mehrere Medien haben ausführlich darüber berichtet („Hilferuf: 10.000 Lehrer fehlen“, „Es droht Lehrermangel wie in den 60er-Jahren“), allein die Reaktion war unbefriedigend: „Es wird schon nicht so schlimm werden!“

Es wird schlimm werden: Allein im Pflichtschulbereich werden in den nächsten zehn Jahren etwa 10.000 Lehrkräfte fehlen. Bei rund 29.000 Pensionierungen und einem Mehrbedarf von mindestens 7.000 durch die steigenden Geburtenzahlen kommen optimistisch gesehen nur etwa 28.000 AbsolventInnen der PHs in die Schule. Nicht eingerechnet ist eine ähnliche Entwicklung bei den Bundesschulen, wo der Zusatzbedarf zeitverzögert entsteht.

  • In den nächsten Jahren werden sich die Pensionierungen fast verdreifachen,
  • etwa 8.000 Kinder pro Jahrgang mehr als heute in die Schule kommen,
  • durch die Verlängerung der Ausbildung eineinhalb Jahrgänge von JunglehrerInnen fehlen.

Wer sehen und vorbeugen will, muss jetzt handeln. Denn meine Zahlen stimmen und wurden quasi von höchster Stelle bestätig: Unterstützung habe ich nicht nur von der Gewerkschaft, sondern auch von Konrad Pesendorfer, dem Generaldirektor der Statistik Austria, bekommen. Er hat nach Erscheinen des Kurier-Artikels getwittert: „Hier hat Harald Walser leider Recht. Weise jedes Jahr bei Präsentation von Bildungsdaten darauf hin.“

Ich verlange daher, umgehend Gegenmaßnahmen einzuleiten (Studienplätze an PHs ausbauen, QuereinsteigerInnen motivieren, einheitliches Dienstrecht für flexibleren Einsatz …).

12. Januar 2017

Der „Plan A“ von Christian Kern: Fehlt da nicht etwas?

2017-01-12T18:31:09+01:0012.01.17, 15:32 |Kategorien: Bildung|Tags: , , , , |

plana_kernViele Superlative finden sich im Bildungskapitel in dem von Bundeskanzler Christian Kern gestern vorgestellten „Plan A“ der SPÖ: Da ist von der besten Ausbildung die Rede, die Kinder erhalten sollen, die besten LehrerInnen sollen unterrichten, die besten Köpfe sollen in die Schulen geholt werden, und es soll überhaupt die besten Bedingungen geben. Wir könnten jedoch in einem ersten und zweiten Schritt schon einmal damit zufrieden sein, wenn es in der österreichischen Bildung nur einmal besser würde. Das mag zwar nicht so populär klingen, ist aber unter realistischer Betrachtung der derzeitigen Situation nicht anders möglich.

Eines vorweg: Dass Bundeskanzler Kern das Ziel der Gemeinsamen Schule weder in seiner Rede noch im Papier zum „Plan A“ erwähnt hat, zeigt, wie mutlos die SPÖ inzwischen gerade in bildungspolitischen Fragen geworden ist. Die Gemeinsame Schule ist wohl die entscheidende Voraussetzung für mehr Bildungsgerechtigkeit. Es ist mir daher rätselhaft, warum die SPÖ nun auf ihre einstige Kernforderung, die 2008 vor den Wahlen sogar noch als Koalitionsbedingung formuliert wurde, verzichtet und ohne diese zentrale Maßnahme in die weiteren Verhandlungen über die Schulreform geht, aber zugleich volle Chancengerechtigkeit herstellen will.

In seinem „Plan A“ spricht Bundeskanzler Kern zudem von einem „modernen Märchen“ in der Bildung, das in der nahem Zukunft zu einer Tatsachenbeschreibung werden solle. Ein Märchen könnte es aber wirklich bleiben. Kern sichert kostenlose Kindergartenplätze, beste Lehrkräfte, Chancengleichheit, Digitalisierung samt Tablets und Laptops, ja sogar den kostenlosen Führerschein für Lehrlinge zu, ohne aber zu erwähnen, wie denn das schöne Bildungsmärchen finanziert werden soll. Erst vor wenigen Wochen hat die SPÖ im Parlament einem Budget zugestimmt, bei dem im Bildungsressort schon jetzt eine Lücke in Höhe von 191 Millionen Euro klafft.

Im „Plan A“ finden SchülerInnen mit Behinderungen samt Realisierung von Inklusion nicht einmal Erwähnung, auch die Suche nach der von Bildungsministerin Hammerschmid angekündigten Abschaffung der Sonderschulen verläuft ergebnislos. Wer aber von Chancengerechtigkeit redet, sollte auch daran denken, dass es Kinder mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen gibt, die schon an den Grundvorausssetzungen in unserem Bildungswesen scheitern oder es zumindest sehr schwer haben mit einer annähernd vollen Teilhabe in unserer Gesellschaft.

Wo Kern mit uns als Bündnispartner jedoch sicher rechnen kann, ist die möglichst schnelle Einführung des „Chancenindex“ in der Schulfinanzierung, die Garantie, auf einen einen Rechtsanspruch auf einen kostenlosen Kindergartenplatz für Kinder ab dem ersten Geburtstag und die schon längst überfällige Schaffung eines bundeseinheitlichen Qualitätsrahmens in den Kindergärten.

Worauf wir nun sehr gespannt sind: auf konkrete Vorschläge, wie sich die einzelnen Ziele umsetzen lassen und wie die avisierten Förderungen und Mehrausgaben angesichts der permanenten Unterfinanzierung des Bildungsressorts bezahlt werden können. Floskeln wie jene der „besten Bildung“ in Österreich hören wir nun nämlich schon seit Elisabeth Gehrer. Aber wer Superlative verspricht, jedoch nicht einmal die Zwischenschritte dazu einhalten kann oder will, macht sich unglaubwürdig. Dann kann sich die SPÖ schon jetzt an die Formulierung eines Planes B, C und D machen.

Wofür ich stehe?

Ich stehe für soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles über meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, Anträge und Ausschussarbeit.


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