Die Last-Minute-Bildungsreform
Wir haben einiges erreicht in den Verhandlungen mit der Regierung: In meiner Rede im Nationalrat habe ich versucht, das Paket â es wird in dieser Woche beschlossen â differenziert darzustellen.
Wir haben einiges erreicht in den Verhandlungen mit der Regierung: In meiner Rede im Nationalrat habe ich versucht, das Paket â es wird in dieser Woche beschlossen â differenziert darzustellen.
Heute sind wir ins Ziel gekommen: Wir haben uns nach harten aber letztlich konstruktiven GesprÀchen mit der Regierung auf eine Bildungsreform geeinigt. In zÀhen Verhandlungen haben wir Erfolge in wichtigen Punkten erzielt, allem voran in der Frage, ob es möglich sein soll, Modellregionen mit einer Gemeinsamen Schule einzurichten. Warum war und ist uns das so wichtig?
Ich habe es als ehemaliger Gymnasialdirektor unzĂ€hlige Male miterlebt und mitgelitten: Eltern, die mich verzweifelt aber vergeblich um einen Schulplatz fĂŒr ihr Kind gebeten haben, weinende Kinder oft daneben. Wir wissen es, was die bereits in der Volksschule zu treffende Entscheidung â NMS oder Gymnasium â vielfach bedeutet: Kinder, die wegen des Drucks in der Volksschule Psychopharmaka nehmen, Kinder, die in der Volksschule Nachhilfe benötigen, Kinder und Eltern, die unter Stress stehen.
Nun wird es erstmals nach fast 100 Jahren Blockade möglich, mit der viel zu frĂŒhen Trennung von Kindern Schluss zu machen. Vorarlberg ist vorbereitet und will die Modellregion im ganzen Bundesland einrichten. Freilich, es liegt noch ein weiter Weg vor uns, auf dem wir die Strukturen vorbereiten mĂŒssen, auf dem wir LehrerInnen aus- und fortbilden mĂŒssen, damit sie auf den neuen Unterricht bestmöglich vorbereitet werden. Und wir mĂŒssen viel Ăberzeugungsarbeit leisten, damit Eltern und Lehrende dieser Umwandlung zustimmen.
Die Ermöglichung von Modellregionen ist jedoch bei weitem nicht der einzige Verhandlungserfolg, der uns GrĂŒnen gelungen ist:
Unterzeichnung des 200-seitigen Reformpakets im Nationalrat
Klar, es gibt viele Punkte, die noch viel weiter hÀtten gehen können. Aber was nun mit dem Reformpaket kommt, ist in vielen Belangen besser als das bisherige System. Dennoch werden wir am Ball bleiben, damit die notwendigen Weiterentwicklungen nicht bei dieser Reform stecken bleiben.
TĂŒrschild ĂVP neu
Daher fasse ich kurz den Ablauf der letzten Woche zusammen:
Am Donnerstag zu Mittag traf sich unsere Verhandlungsrunde im Bildungsministerium â ĂŒbrigens erstmals unter Anwesenheit von Minister Mahrer. Nach Diskussionen und Fragen rund um die in Vorarlberg durchgefĂŒhrte Studie zur Modellregion Gemeinsame Schule, zogen sich Minister Mahrer und Ministerin Hammerschmied zurĂŒck, und der Wissenschaftsminister unterbreitete uns zur Modellregion einen Kompromissvorschlag als âneues Denkmodellâ.
Demnach sollte es möglich sein, in der Sekundarstufe I (NMS, AHS-Unterstufe und Sonderschulen) Gebiete mit bundesweit maximal 15 Prozent aller betroffenen SchĂŒlerinnen und SchĂŒler in Modellregionen zur Gemeinsamen Schule umzuwandeln, âsodass ganz Vorarlberg Platz hatâ â wie Minister Mahrer wörtlich erwĂ€hnte. Bedingung sei die Zustimmung der betroffenen Schulen durch die Schulpartner mit einfacher Mehrheit. AngekĂŒndigt wurde die Einbringung des Gesetzespakets in den Nationalrat mittels eines Initiativantrags am 7. Juni. Wir gingen mit dem Vorhaben auseinander, Einzelheiten zum Gesetzestext am Abend zu besprechen. Alle Beteiligten haben sich verpflichtet, Stillschweigen ĂŒber die Einigung zu bewahren.
Pressestatement nach Verhandlungen zur Bildungsreform
Am Freitagvormittag kam der versprochene Gesetzestext nicht, dafĂŒr aber die erste Verschiebung des Termins auf 13:00 Uhr und dann ein Anruf von Minister Mahrer, der nochmals zu dritt âdie Detailsâ besprechen wollte. Dies wurde von uns mit dem Hinweis auf den versprochenen Gesetzestext abgelehnt. Darauf sagte Minister Mahrer den Verhandlungstermin ab und begrĂŒndete dies gegenĂŒber den Medien damit, der Abschluss der Reform dauere lange, weil der Opposition so âviel zu erklĂ€renâ sei. Gleichzeitig kĂŒndigte er die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit FPĂ an.
Am Dienstag nach Pfingsten erhielten wir die Information aus dem Bildungsministerium, die ĂVP mache ihre Zustimmung zur Bildungsreform von der Studienplatzfinanzierung abhĂ€ngig. Erneut richtet Mahrer ĂŒber die APA aus, dass wieder mit FPĂ verhandelt werden soll.
WĂ€hrend der Nationalratssitzung am Mittwoch bestritten Minister Mahrer und Bildungssprecherin Brigitte Jank (die ebenfalls Mitglied des VP-Verhandlungsteams war), dass jemals eine Einigung erzielt worden sei. Damit kehrte die ĂVP endgĂŒltig wieder auf den Stand von vor dem letzten Donnerstag zurĂŒck.
Es ist wohl unbestritten, dass die beiden Regierungsparteien nicht mehr gewillt und in der Lage sind, in einem sachlichen Miteinander die noch anstehenden Pakete aus dem Regierungsprogramm abzuarbeiten. Es ist jedoch völlig unverstĂ€ndlich und verantwortungslos, nach mehr als zwei Jahren intensiver Arbeit ein fertig ausverhandeltes und fĂŒr eine Zweidrittel-Mehrheit akkordiertes Paket aus wahltaktischen Ăberlegungen ins Nirwana zu schicken. Es ist unverantwortlich, so viele bereits investierte Ressourcen zu verschleudern, und es ist unverzeihlich, das österreichische Bildungssystem aus dem 19. Jahrhundert nicht wenigstens einmal ins 20. zu holen. Diese Bildungsreform wĂ€re ein erster richtiger Schritt gewesen. Zweifellos hĂ€tten weitere folgen mĂŒssen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Kinder. Aber das scheint der ĂVP neu unter Sebastian Kurz völlig egal zu sein. Aus der ĂVP alt scheint eine ĂVP uralt geworden zu sein.
Aber auch in dieser Frage gilt: Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.