„Diese Zeit ist schwierig“ – Zur Rhetorik von Innenministerin Mikl-Leitner

2015-08-29T17:28:03+02:0029.08.15, 17:22 |Kategorien: Gesellschaft, Integration, Menschenrechte|Tags: , , |

mikl-leitnerEin genaueres Hinschauen auf die Sprache und den öffentlichen Diskurs ĂŒber ein Thema ist meist erhellend. Schon eine oberflĂ€chliche Analyse eines GesprĂ€chs unserer Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow und dem „Standard“ ĂŒber FlĂŒchtlinge, Ängste und Macht („Wo wir keine FlĂŒchtlinge haben, ist die Angst am grĂ¶ĂŸten“) zeigt die verbale und argumentative Strategie, mit der Mikl-Leitner agiert: Sie ist geprĂ€gt von Abwehr, vom Verschieben der Verantwortung auf entpersonalisierte, vermeintlich unkontrollierbare WirkungsmĂ€chte und von beschwichtigenden Formulierungen, indem harte Benennungen von RealitĂ€ten durch Euphemismen aufgelöst werden. Mikl-Leitner bedient immer wieder Metaphern wie „Migrationsströme“, denen die Linguistin Ruth Wodak durch deren Konnotation mit Naturkatastrophen eine „dehumanisierende Wirkung“ zuschreibt.

Im Folgenden zitiere ich einige wenige Beispiele, die symptomatisch fĂŒr den Diskurs der Innenministerin stehen. Die hier festgemachten Strategien ziehen sich durch das gesamte Interview.

Ilija Trojanow: Wir leben jetzt schon seit lĂ€ngerem in einer Angstkultur. StĂ€ndig hat irgendjemand vor irgendetwas Angst – vor Terrorismus, Katastrophen, Migranten. Die Medien schĂŒren Angst, die Politiker beschwichtigen sie nicht. Ich wĂŒnsche mir von Politikern, dass sie sagen: Solange es diesen grausigen BĂŒrgerkrieg in Syrien gibt, werden Millionen von Menschen fliehen – und wir können nicht so tun, als wĂ€re das mal ein kleines Problem zwischendurch. Also stellen wir uns der Herausforderung und zeigen wir eine gewisse hilfsbereite Gelassenheit.

Mikl-Leitner: Ich schließe mich an, es braucht mehr Ehrlichkeit in der Asyldebatte. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Europa scheitert an der FlĂŒchtlingsfrage, indem die Nationalisten die Oberhand gewinnen – und dann wissen wir, dass es mit einem friedlichen Europa schneller zu Ende sein kann als manche glauben. Oder Europa schafft diese Herausforderung. Das kann aber die Politik allein nicht lösen – das trifft jeden Einzelnen.

M-L. schließt sich zwar verbal an, von der von Trojanow eingeforderten hilfsbereiten Gelassenheit ist in ihrer Replik jedoch nichts zu bemerken. Und: Sie gibt ein StĂŒck Verantwortung an „jeden Einzelnen“ ab. Damit leitet sie ihre Strategie ein, Fehler und Scheitern grundsĂ€tzlich bei anderen festzumachen.

STANDARD: Viele Einzelne erzÀhlen, dass sie helfen wollen, das Innenministerium aber blockiert.

Mikl-Leitner: BĂŒrokratische HĂŒrden gibt es ĂŒberall – auch bei der Quartierfrage. Wir scheitern an Baugenehmigungen, an Widmungen. Deswegen braucht es das Durchgriffsrecht.

Die angesprochenen Blockaden des Innenministeriums wehrt M.-L. mit „bĂŒrokratische HĂŒrden“, die sich von selbst aufbauen und gegen die sie vermeintlich machtlos ist, ab.

Trojanow: Was heißt eigentlich, Sie sind betroffen? Politiker benutzen dieses Wort immer. Das macht mich misstrauisch. Warum muss man das extra formulieren? Ich bin jeden Tag ĂŒber irgendwas erzĂŒrnt. Das ist doch eine SelbstverstĂ€ndlichkeit, wenn man noch irgendeine Menschlichkeit in sich hat.

Mikl-Leitner: Letztens habe ich den Vorwurf bekommen: „Warum sagen Sie nicht, dass Sie betroffen sind?“ Wie man es macht, ist es falsch. Betroffen sein heißt, dass man nachdenklich ist, dass man versucht zu helfen. Meine ganze Kraftanstrengung gehört ja den Migrationsströmen.

Zuerst stilisiert sich M.-L. zum Opfer („man kann es gar nicht richtig machen“), danach definiert sie „Betroffenheit“ ebenfalls unter Verwendung des unpersönlichen „man“, um dann auf sich selbst zu kommen: „Meine (!) ganze Kraftanstrengung gehört ja den Migrationsströmen.“ M.-L. vermittelt hier das Bild von Widrigkeiten, die von außen flutartig auf sie hereinbrechen und gegen die sie als EinzelkĂ€mpferin anschwimmen muss.

Trojanow: Wenn wir schon so betroffen sind, wie wir alle behaupten, wie kann es sein, dass es zu solchen ZustĂ€nden kommt? Entweder ist die Betroffenheit nicht tief genug – oder irgendwas anderes stimmt nicht.

Mikl-Leitner: Sie haben vollkommen recht. Betroffenheit allein reicht nicht aus. Aber man kann Dinge schon so oder so darstellen.

M.-L. wehrt, ohne konkret zu werden, mit dem „Aber“ den Vorwurf von Trojanow ab.

STANDARD: Zu Europas Asylpolitik: Sind GrenzzÀune, wie Ungarn sie derzeit baut, ein legitimes Mittel?

Mikl-Leitner: Ich stelle mir Europa nicht so vor, dass wir wieder ZĂ€une aufbauen. Es braucht mehr Sicherung der EU- Außengrenzen. Und Anlaufstellen in Italien und Griechenland, wo man klar differenzieren kann zwischen KriegsflĂŒchtlingen und Auswanderern.

M.-L. spricht von der notwendigen „Sicherung“ der EU-Außengrenzen. Im darauffolgenden Satz nennt sie, vor wem sich die EU „schĂŒtzen“ muss, nĂ€mlich vor den „Auswanderern“. Damit nimmt sie die fremdenfeindliche Rhetorik vom Klischee der WirtschaftsflĂŒchtlinge auf, gegen die es sich zu schĂŒtzen gĂ€lte. Durch den Bezug auf die ausschließliche RechtmĂ€ĂŸigkeit von Flucht, wenn sie aus KriegsgrĂŒnden erfolgt, negiert M.-L., dass etwa Hungerkrisen oder Schutz vor politischer Verfolgung ebenfalls plausible FluchtgrĂŒnde sind.

Trojanow: Ich habe es ja selbst im FlĂŒchtlingslager erlebt: Das ist eine völlig lĂ€hmende Auszeit. Man lernt dort nichts, man verlernt auch alles. Man ist geparkt als willenloses Opfer in einer nicht beeinflussbaren BĂŒrokratie. Wir waren ein halbes Jahr im Lager, und schon das war schwierig, meine Eltern waren auf dem Weg zur Traumatisierung. Oft dauert es aber lĂ€nger – zwei, drei Jahre. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

STANDARD: Frau Ministerin, Sie nicken. Sehen Sie das Àhnlich?

Mikl-Leitner: Ich sehe das genauso, diese Zeit ist schwierig, egal in welcher Betreuungseinrichtung. Jeder wĂŒnscht sich ein normales Leben – mit Familie, Arbeit, Schule.

Auf die sehr harten Aussage von Trojanow, das Leben im Lager sei „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ kontert M.-L. mit der weichgespĂŒlten und abwehrenden Formulierung, „diese Zeit“ sei „schwierig“ und nicht etwa die durchaus Ă€nderbaren Bedingungen in den Lagern. Sie spricht zudem von einer „Betreuungseinrichtung“, die FĂŒrsorge suggeriert und vom „normalen Leben“, das sich jeder wĂŒnscht, was aber eben nicht gewĂ€hrleistet werden könne.

STANDARD: Jetzt soll ein Manager es richten, Christian Konrad. Ist das ein EingestÀndnis, dass die Politik weniger Macht hat als die Wirtschaft?

Mikl-Leitner: Die Entscheidung ist eine sehr gute. Was waren die Probleme in den letzten Monaten? Permanente Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund, LĂ€ndern und Gemeinden. Da braucht es einen BrĂŒckenbauer.

STANDARD: Warum können Sie nicht diese BrĂŒckenbauerin sein?

Mikl-Leitner: Das Erste, was es dazu braucht, ist das Durchgriffsrecht. Jetzt geht es darum, auch mit dem Durchgriffsrecht Quartiere zu schaffen.

Der Schlusssatz kann als Diagnose ĂŒber Mikl-Leitners (politische) Verfassheit gedeutet werden: M.-L. beantwortet die Frage vermutlich eher unbewusst, denn eine Person, die zuallererst mit Durchgriffsrecht arbeitet, kann wohl schwerlich „BrĂŒckenbauerin“ sein.