Trump und die âmilde Pathologisierungâ
Wahlen in den USA sind fĂŒr uns in Europa nicht selten etwas seltsam – einerseits wegen eines Wahlsystems aus dem 18. Jahrhundert, andererseits wegen des unfassbaren Aufwands fĂŒr oft sehr wenig politische Botschaften. Und dann wĂ€re da ja auch noch Donald Trump mit seiner eigenartigen Art der politischen Kommunikation. Lange waren die Demokraten ratlos, seit einigen Wochen ist es umgkehrt: Die Herzen fliegen plötzlich Kamala Harris zu. Warum ist das so? Unter dem Titel âMilde Pathologisierungâ habe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:
Donald Trump und sein Team sind ratlos. Bis vor wenigen Wochen lag der Ex-PrĂ€sident in Umfragen haushoch in FĂŒhrung, das Rennen schien gelaufen. Doch dann passierten zwei entscheidende Dinge: Einerseits verzichtete Joe Biden auf seine Kandidatur, andererseits hat Kamala Harris mit ihrem âRunning Mateâ Tim Walz einen ĂŒberzeugenden politischen Kommunikator gefunden. Ihm gelingt es, mit einfachen Worten zu ĂŒberzeugen.
Dabei scheint das, was er sagt, wenig spektakulĂ€r: Das Land brauche âJoyâ, verkĂŒndete Walz zuletzt, also âFreudeâ. Der verbiesterte Trump aber nehme diese Freude (âHaben Sie ihn schon mal lachen gesehen?â), Harris bringe sie ins Land zurĂŒck. Sein Publikum ist begeistert. In diesem bislang weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf liegt Harris dank des âneuenâ Kommunikationsstils in den wichtigen Swing States bereits mit jeweils vier Prozentpunkten voran.
Walz war es auch, der Trump und dessen Republikaner schon vor seiner Ernennung als âweirdâ â also âseltsamâ oder âschrĂ€gâ â bezeichnete. Der Trump Fan-Gemeinde war bislang weitgehend egal, dass ihr Idol eine weltrekordverdĂ€chtige Zahl an LĂŒgen verbreitet, dass ihm dutzende Gerichtsverfahren bevorstehen (falls er sich nicht selbst begnadigt) und er in einem bereits verurteilt ist, dass er zu einem Staatsstreich aufgerufen hat, der mehrere Todesopfer forderte, dass er eine Gefahr fĂŒr die Demokratie und den Weltfrieden ist.
Im Gegensatz zur politischen Mitte kĂŒmmerte das die âTrumpistenâ nicht. Aber einem âseltsamenâ oder âschrĂ€genâ Menschen folgen? Einem, dessen Ideen âeinfach nur komischâ sind? Das scheint erstaunlicherweise viele weit mehr in ihrer Wahlentscheidung zu beeinflussen als politische Positionen. Diese âmilden Pathologisierungâ wirkt, wie die âSĂŒddeutsche Zeitungâ kĂŒrzlich analysierte: Harris und Walz argumentieren nicht aggressiv, sondern beugen âsich fast mitleidigâ ĂŒber Trump und lassen âihn damit schrumpfenâ. Das hat was: Trumps skurrile Auftritte und Aussagen kann man ja mit gutem Recht als âseltsamâ bezeichnen.
Die Republikaner sind gegenĂŒber dieser Kommunikation bislang ratlos und werden in den letzten Tagen immer aggressiver. Trump faselt inzwischen sogar wenig ĂŒberzeugend von einem angeblichen âPutsch gegen Bidenâ. Dadurch wirkt er âweirdâ und bestĂ€tiget ungewollt die Kommunikation von Harris und ihrem Team. Die kultische Hingabe vieler Trump-Fans mag das nicht erschĂŒttern, in der politischen Mitte aber wirkt es.
Jetzt brĂ€uchten wir halt auch hierzulande noch jemanden, der die politische Kommunikation beherrscht und aus dem bisherigen US-Wahlkampf die richtigen SchlĂŒsse zieht â aber bitte auch sagt, was politisch zu erwarten ist.