„Bargeld-Debatte“
Die „Bargeld-Debatte“ ist in jeder Hinsicht entbehrlich. Sie entbehrt jeder Grundlage, da der österreichische Gesetzgeber gar nicht in der Lage ist, entsprechende Gesetze zu erlassen. Das kann nur die EU. Sie ist politisch verheerend, weil die ÖVP wieder einmal ein Thema der extremen Rechten forciert. Unter dem Titel „Bargeld-Debatte“ habe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:
Gerald Fleischmann hat in der österreichischen Politik tiefe Spuren hinterlassen. Er stand hinter dem Aufstieg von Sebastian Kurz, fiel dann aber wie fast alle anderen aus der schwarz-türkisen „Buberlpartie“ im Zuge der vielen Korruptionsskandale sehr tief und musste seinen wohldotierten Job aufgeben.
Karl Nehammer übernahm die Partei, konnte den Abwärtstrend aber nicht stoppen. Der nicht gerade charismatische neue Parteichef wusste aufgrund massiver Einbrüche bei Landtagswahlen und einem Absturz bei Umfragen auch auf Bundesebene nicht mehr ein und aus. Und er holte in seiner Not Fleischmann zurück in die ÖVP-Bundeszentrale.
Und siehe da: Fleischmann hatte eine Idee und veränderte die bis dahin weitgehend sachliche, wenn auch nicht reformfreudige Politik. Erfolg stellte sich allerdings nicht ein, Umfragen bleiben hartnäckig im Keller. Die alten Rezepte ziehen halt nicht mehr. Beim zweiten Aufkochen wird zwar eine Gulaschsuppe besser, in der Politik aber schmeckt Aufgebrühtes selten gut.
Ablenkungsmanöver
Fleischmanns Rezept: Man werfe Nebelgranaten, wenn man das Scheitern der politisch Verantwortlichen bei den wirklich drängenden Problemen vernebeln möchte. Das gelang zwar unter Sebastian Kurz, als man für alle innenpolitischen Probleme mit der Migrationsbewegung eine einzige Ursache ausmachen wollte. Heute aber braucht es Neues.
Jetzt versucht die ÖVP ein anderes Kochrezept: Obwohl nirgends in Österreich oder der EU die Abschaffung des Bargelds gefordert wird, wollen Nehammer und seine ÖVP das Recht auf Bargeld im Verfassungsrang einzementieren. Damit sind sie ein weiteres Mal voll auf Linie mit extrem rechten Parteien wie der FPÖ und der deutschen AfD. Wie aber kamen Fleischmann und der Kanzler auf diese Idee?
Wer zahlt 10.000 Euro bar?
Die EU-Kommission will zur Geldwäschebekämpfung bei Geschäftstransaktionen eine Bargeld-Obergrenze zwischen 7000 und 10.000 Euro. Dass Parteien, die tief in Korruptionsaffären verwickelt sind, damit keine Freude haben, liegt auf der Hand. Der offenkundig von Fleischmann inszenierte Pro-Bargeld-Vorstoß hat daher mehr als nur ein „Gschmäckle“. Viele Menschen fragen sich zurecht: Wer außer Kriminellen will Rechnungen von 10.000 Euro und mehr heute noch bar bezahlen? „Normal“ ist das jedenfalls nicht, um die ÖVP-Normalitätsdebatte zu bemühen.
Martin Selmayr, Vertreter der EU in Österreich, gibt Nehammer übrigens Nachhilfe im Verfassungsrecht: Beim EU-Beitritt kam es vor fast drei Jahrzehnten zur Übertragung der Währungssouveränität auf die EU. Und die EU garantiert seit 1999 Bargeld als Zahlungsmittel. Österreich könnte ein vom Kanzler angekündigtes Verfassungsgesetz also gar nicht beschließen – und muss es nicht, weil es von der EU bereits garantiert ist. Peinlich für Nehammer, wenn er das nicht weiß. Erschütternd, wenn er die Forderung dennoch aufgestellt hat. Selmayr ist übrigens ebenfalls Christdemokrat.