Habermas weist den Weg nach Europa!
Braucht es wirklich einen 96-jĂ€hrigen Philosophen, der dem europĂ€ischen politischen Establishment den Weg in die Zukunft weist? Es scheint so. JĂŒrgen Habermas hat letzte Woche Klartext gesprochen. Kurz zusammengefasst: Wir brauchen mehr Europa! Dazu habe ich unter dem Titel âChance fĂŒr Europaâ in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst:
Die diplomatischen Turbulenzen rund um einen möglichen Friedensvertrag fĂŒr die Ukraine machen Europas geopolitisches Dilemma sichtbar. Verhandelt haben zuerst die USA und Russland, dann erst wurden die EU, GroĂbritannien und auch die Ukraine einbezogen. Auch China will gehört werden. Ein von allen Parteien akzeptierter Friedensplan scheint derzeit in weiter Ferne.
Die EU tut sich mit einer klaren Positionierung schwer, gibt es doch Mitgliedsstaaten, die sogar dem ursprĂŒnglichen Trump-Plan zustimmen wollten. Die Mehrstimmigkeit schwĂ€cht den âAlten Kontinentâ massiv. Zudem gibt es kaum Stimmen mit politischem Gewicht, die einen Weg aus dieser schwierigen Situation weisen wĂŒrden.
Immerhin hat mit JĂŒrgen Habermas letzte Woche ein Philosoph bei einem Vortrag in MĂŒnchen und in einem Artikel fĂŒr die SĂŒddeutsche Zeitung (âVon hier an mĂŒssen wir alleine gehenâ) die Richtung gewiesen: Wir brauchen mehr Europa!
China, Russland und zuletzt sogar die USA sehen in den liberalen Demokratien Europas Auslaufmodelle. Die drei WeltmÀchte sind oder entwickeln sich zu autoritÀren Regimen. Völkerrecht? Egal. Menschenrechte? Das war einmal. Und auch in Europa sind die Feinde einer offenen Gesellschaft im Aufwind.
Diese Entwicklung hat sich schon lĂ€nger angebahnt. Die Bevölkerung in den USA ist seit dem 11. September 2001 tief verunsichert. Die einstige Supermacht hat seither zunehmend an Einfluss verloren. Das Ergebnis ist ein groĂspurig auftretender Politiker wie Trump mit seiner unberechenbaren Politik. Seither sind die USA kein verlĂ€sslicher Partner mehr.Auf diese Entwicklung muss die wirtschaftliche GroĂmacht EU eine Antwort finden. Die kann nur darin bestehen, die politische Einigung voranzutreiben. Und dies im Gegensatz zu den drei genannten MĂ€chten unter Beibehaltung menschen- und völkerrechtlicher Prinzipien.
Allerdings sind neben den Rechtspopulisten vor allem die jĂŒngeren EU-Mitglieder in Osteuropa ein Hemmschuh fĂŒr so eine Entwicklung. Diese LĂ€nder sind zwar die vehementesten BefĂŒrworter einer massiven AufrĂŒstung aller MitgliedslĂ€nder, gleichzeitig aber am wenigstens bereit, ihre ânationalstaatlichen VerfĂŒgungsgewaltenâ zugunsten eines starken Europa einzuschrĂ€nken.
Das wird sich so nicht ausgehen. Daher wurde schon vor Jahren die Idee eines âKerneuropaâ diskutiert. Begeisterung fĂŒr Europa wĂ€re auch eine Chance, dem zunehmenden Nationalismus und Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen. Auch Ăsterreich wird Farbe bekennen mĂŒssen: mitgestalten und Mitglied dieses âKerneuropaâ sein oder die Entwicklung von der Seitenlinie aus betrachten?
Habermas mit seinen 96 Jahren sieht und beschreibt die Herausforderungen klar. Fehlt nur noch, dass auch die politisch Verantwortlichen die Notwendigkeiten erkennen.


