Zur Geschichtsvergessenheit der österreichischen âMitteâ

IdentitÀrer Demonstrationsteilnehmer mit nazistischem Sonnenrad als TÀtowierung
Ja, wo ist der Widerstand der Mitte, wenn die IdentitĂ€ren und ihresgleichen auf die StraĂe gehen? Das frage auch ich mich. Meine Antworten sind allerdings anders, als sie der NZZ-Journalist Georg Renner in seinem Beitrag âIdentitĂ€re in Wien: Wo ist der Widerstand der Mitte?â gegeben hat. Eigentlich wĂ€re ausgangs zu definieren, was denn die Mitte ist. Immerhin moniert inzwischen ja schon Straches FPĂ fĂŒr sich, die Mitte unserer Gesellschaft zu reprĂ€sentieren. Wo die Mitte liegt, ist also je nach BetrachterIn sehr unterschiedlich.
Ich stelle die Frage zudem etwas erweitert: Warum gibt es hierzulande nicht nur keine breiten Proteste gegen die IdentitÀren, sondern auch nicht gegen Rechtsextremismus und Neonazismus im Allgemeinen?
âDas kann man wahlweise sympathisch oder lethargisch finden, aber man sollte nicht den Fehler machen anzunehmen, dass es keinen antifaschistischen Grundkonsens gĂ€be, nur weil beim Anblick einiger Rechtsextremer nicht sofort die halbe Republik im Lichtermeer-Modus auf die StraĂen strömt.â (Georg Renner)
Der antifaschistische Grundkonsens, den Renner anspricht, ist im Artikel 9 des Staatsvertrags formuliert und wurde von Beginn an gebrochen. Wer behauptet, er sei jemals durchgehend gesellschaftliche RealitĂ€t in Ăsterreich gewesen, belĂŒgt sich und andere. Das Vertuschen und VerdrĂ€ngen war ungeschriebene Staatsdokrin in der Zweiten Republik, wer dagegen auftrat, galt als Nestbeschmutzer. Ich erinnere etwa an die Zeithistorikerin Erika Weinzierl, die als Vorreiterin fĂŒr eine AufklĂ€rung ĂŒber Austrofaschismus und Nationalsozialismus viele Anfeindungen gerade aus der âMitteâ, nĂ€mlich âihrerâ ĂVP, ertragen musste.
Dass in Ăsterreich Widerstand nicht auf der StraĂe geleistet wird, ist richtig, dass er auch anderswo kaum passiert, wĂ€re anzufĂŒgen. Dass dies auf die Ereignisse der Ersten Republik zurĂŒckzufĂŒhren sei, ist bestenfalls eine TeilerklĂ€rung, denn die historischen Erfahrungen gehen viel weiter zurĂŒck, und ihre KontinuitĂ€ten wirken bis heute. Wer hierzu Nachhilfe benötigt, möge âDer lange Schatten des Staatesâ von Ernst Hanisch, der bis in die Gegenreformation zurĂŒckgreift, studieren.
Die gröĂte FehleinschĂ€tzung begeht Renner allerdings mit der Diagnose, die IdentitĂ€ren seien bedeutungslos, und das Ignorieren sei das Patentrezept gegen sie. Dass sich hierzulande Rechtsextreme breit machen, ihre Parolen bis in die âMitteâ hineindringen, sehen wir nicht zuletzt an den jĂŒngsten Wahlergebnissen. Die Vernetzungen der IdentitĂ€ren reichen zu Neonazis und gehen in die FPĂ hinein, was der Verfassungsschutz belegt â deutlich detaillierter aber der von uns prĂ€sentierte Rechtsextremismusbericht. Hans Rauscher schreibt dazu im Standard: âSehr wichtig wĂ€re, dass auch konservative, bĂŒrgerliche Demokraten begreifen, was diese sich auf âIdentitĂ€tâ berufende âneue Rechteâ wirklich ist.â Der stĂ€rker werdende organisierte Rechtsterrorismus in Deutschland macht nicht an der Staatsgrenze halt. Diese Entwicklungen von einer Gruppe abzutrennen und sie zu ignorieren, ist schlichtweg fahrlĂ€ssig.
Georg Renner rĂ€t, sich am Heldenplatz zu versammeln, wĂ€hrend Rechtsextreme und Neonazis in der Stadt demonstrieren. WeiĂ er nicht, dass die bis 2012 jĂ€hrlich abgehaltene neonazistische Trauerfeier am 8. Mai am Heldenplatz deswegen ein Ende hatte, weil es vorher genau dort Proteste gab und dass einer der Mitinitiatoren des nun am Heldenplatz stattfindenden âFests der Freudeâ, Willi Mernyi, auch dort physisch demonstriert hat? Aber âdie Mitteâ vergisst sehr schnell und ruht sich just auf dem aus, was andere nicht zuletzt auf der StraĂe erkĂ€mpft haben, nĂ€mlich auf Demokratie und Meinungsfreiheit. Wenn âdie Mitteâ aber weiterhin keinen Widerstand leistet und nicht einmal am Heldenplatz steht, wenn es darauf ankommt, könnte es irgendwann sehr ungemĂŒtlich werden â auch fĂŒr die von Renner angesprochene âMitteâ.