18. Januar 2024

Unwort „Remigration“

2024-01-18T08:55:50+01:0018.01.24, 8:53 |Kategorien: Geschichte und Rechtsextremismus|Tags: , , |

In Deutschland wird ĂŒber ein Verbot der AfD diskutiert. In Österreich diskutiert man darĂŒber, in welcher Konstellation die FPÖ ab Herbst in der Regierung sein wird. Es ist Zeit aufzuwachen und dem rechtsextremen und rassistischen Treiben Einhalt zu gebieten. Dazu mein Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten. Hier zum Nachlesen:

Letzte Woche hat BundesprĂ€sident Alexander Van der Bellen bei einem Festakt das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) gewĂŒrdigt und in Bezug auf die NS-Vergangenheit gemeint: „Es darf gerade jetzt nicht sein, dass wir einen bequemen Schlussstrich ziehen.“

Am selben Tag wurde ein Geheimtreffen hochrangiger AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarker Unternehmer bekannt, bei dem es in Berlin um „Remigration“ ging. Aus Österreich angereist war unter anderem auch Martin Sellner, Chef der mit der FPÖ ĂŒber mehrere Wege verbandelten rechtsextremen „IdentitĂ€ren“. Kernforderung in Berlin: die Vertreibung von Millionen (!) von Menschen aus Deutschland und Österreich.

„Masterplan“

Auch FPÖ-Obmann Herbert Kickl operiert mit solchen haarstrĂ€ubenden Forderungen und dem Begriff „Remigration“, mit dem nicht nur er, sondern Neonazis, Neofaschisten und rechtsextreme Parteien in ganz Europa seit Jahren das gesellschaftliche Klima vergiften.

„Remigration“ meint die „RĂŒckgĂ€ngigmachung“ von Migration und somit die massenhafte Deportation von Menschen – Kickl nennt sie menschenverachtend „nicht wertvolle Elemente“, darunter solche mit österreichischer StaatsbĂŒrgerschaft. Ohne Gewalt wird das nicht gehen. Es stĂŒnde außerdem eklatant im Widerspruch zu unserer geltenden Verfassung.

FPÖ und IdentitĂ€re

Auf der Plattform „Stoppt die Rechten“ sowie der Homepage des DÖW gibt es fundierte Hinweise auf die engen Verbindungen zwischen FPÖ, ihrer Schwesterpartei AfD und den IdentitĂ€ren. FPÖ-GeneralsekretĂ€r Michael Schnedlitz begrĂŒĂŸte bei einer FPÖ-Kundgebung die IdentitĂ€ren („Hier seid ihr willkommen!“): „Wir werden diese Bundesregierung mit sprichwörtlichen nassen Fetzen aus dem Parlament treiben.“ Aus dem Parlament wohlgemerkt, nicht nur aus der Regierung.

Auch sein Kompagnon Christian Hafenecker schwadroniert von einem angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ und bekundet offen Sympathie fĂŒr die Positionen der IdentitĂ€ren. Er habe „nicht den geringsten Grund, sich von völlig legitimen und aus unserer Sicht auch politisch unterstĂŒtzenswerten Forderungen zu distanzieren“.

Folgerichtig unterstĂŒtzte die Freiheitliche Jugend eine „Remigrations-Tour“ der IdentitĂ€ren in Oberösterreich, der Obmann der Jung-Blauen sprach sogar von einem „Schulterschluss“. Der frĂŒhere Parteichef Norbert Hofer bezeichnete die IdentitĂ€ren und deren Forderungen zurecht als „Wahnsinn“, Kickl hingegen spricht von der in Österreich offiziell als rechtsextrem eingestuften Truppe als „unterstĂŒtzenswertem Projekt“.

In Deutschland wurde „Remigration“ von einer Jury zum „Unwort des Jahres“ gewĂ€hlt. Es sei ein „rechter Kampfbegriff“ und eine „beschönigende Tarnvokabel“. In Österreich wird dieses Unwort von der in aktuellen Umfragen stĂ€rksten Partei verwendet.

Es wird Zeit, wieder an der Artikel 9 des Staatsvertrags zu erinnern. Demnach verpflichtet sich unser Staat, „alle nazistische TĂ€tigkeit in Österreich zu verhindern“.

4. Januar 2024

Haben wir zu hohe Steuern?

2024-01-04T11:51:49+01:0004.01.24, 11:47 |Kategorien: Allgemein|Tags: , , , |

Gestern forderte die Wirtschaftskammer eine Senkung der Lohnnebenkosten. Ohne zu sagen, welche Leistungen dafĂŒr gekĂŒrzt werden sollen. Zum Jahresende forderte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger ĂŒberhaupt eine Steuersenkung und konkretisierte das ebenfalls nicht. Unter dem Titel „Zu hohe Steuern?“ habe ich dazu in den Vorarlberger Nachrichten einen Kommentar verfasst. Hier zum Nachlesen:

Wer hĂ€tte am Monatsende nicht gern mehr Geld? NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger sprach sich im ORF-Bilanzinterview zum Jahresende fĂŒr eine Steuerentlastung aus: „Die Österreicher zahlen genug Steuern!“ Diese mĂŒssten gesenkt werden. Die Forderung der NEOS ist uralt, eine PrĂ€zisierung fehlt aber leider: Wo soll das fehlende Geld eingespart werden? Beim Bildungsbudget? Der Kleinkind-Betreuung? Im Gesundheits- und Sozialsystem? Bei den Pensionen?

Vorbild USA?

Die USA haben unter Ronald Reagan genau diesen Weg beschritten. Mit fatalen Auswirkungen. Seither stagniert das Einkommen der Arbeiterschicht, die Lebenserwartung sinkt, die Ultrareichen zahlen weniger Steuern als einfache Angestellte. Der US-amerikanische NobelpreistrĂ€ger Joseph Stiglitz: „Unser jetziges Wirtschaftssystem ist das Ergebnis von Spielregeln, die wir ĂŒber die letzten 40 Jahren neu geschaffen haben. Und zwar in einer Weise, welche Arbeiter benachteiligt und den Machtausbau von Unternehmen fördert.“

Auch in Europa eifern einige den USA nach. Die Auswirkungen sind etwa in Großbritannien zu besichtigen: marode Infrastruktur, darniederliegendes Gesundheitssystem etc.

Und Österreich?

Meinl-Reisinger schloss in ihrer Bilanz ĂŒbrigens auch die EinfĂŒhrung einer Erbschaftssteuer aus. Österreich ist eines der ganz wenigen LĂ€nder auf der Welt, das keine Erbschaftssteuern einhebt – mit dem ebenso schlichten wie falschen Argument, man dĂŒrfe bereits besteuertes Einkommen nicht noch einmal besteuern. Aber: Wer gestorben ist, bezahlt bekanntlich keine Steuern mehr. Und wer erbt, hat dafĂŒr noch keine Steuern bezahlt.

Im Gegensatz zu einer Erbschaftssteuer gibt es hingegen sehr wohl eine Doppelbesteuerung fĂŒr fast jeden von uns. Jeder Einkauf im Supermarkt, jedes Essen im Gasthaus oder am WĂŒrstelstand, die Miete – das alles unterliegt der Umsatzsteuer und wird mit jenem Geld bezahlt, das von der Lohn- oder Einkommenssteuer ĂŒbrig geblieben ist. Wer in der Erbschaftssteuer eine Doppelsteuer sieht, mĂŒsste folgerichtig auch die Umsatzsteuer abschaffen. Diesen Unsinn hat bislang noch niemand gefordert.

Der Verzicht auf eine Erbschaftssteuer ist ein nicht nachvollziehbares Steuergeschenk des Staates an Wohlhabende und Reiche, denn Arme können kaum etwas vererben. Laut Arbeiterkammer besitzen zwei Drittel der Vorarlberger keine Immobilie, zehn Prozent hingegen 75 Prozent der FlÀchen. Und der Mittelstand? Er wÀre nach allen derzeitigen VorschlÀgen durch hohe FreibetrÀge wie in fast allen anderen LÀndern von der Steuer befreit.

Genau diese einfache Tatsache hat dazu gefĂŒhrt, dass es in der westlichen Welt praktisch ĂŒberall eine Erbschaftssteuer gibt. Zurecht, denn sie ist eine Frage der Steuergerechtigkeit. Das wĂ€re vielleicht auch eine Denksportaufgabe fĂŒr jene, die die Steuer so vehement ablehnen und damit das GeschĂ€ft der Superreichen betreiben.

21. Dezember 2023

DĂŒstere Aussichten?

2023-12-21T11:08:18+01:0021.12.23, 9:13 |Kategorien: Gesellschaft, Parteien|Tags: , , , , , , |

Road sign used in Denmark – Turn left or right ahead.

Wohin fĂŒhrt der Weg im nĂ€chsten Jahr? Kriege, Klimadesaster, Fluchtbewegungen, soziale Ungleichheit, Vormarsch der Rechten … Weiter so? Oder gibt es ein wenig Hoffnung? Man muss ja durchaus aufpassen, dass man in Zeiten wie diesen nicht in Depressionen verfĂ€llt. Unter dem Titel „Nur dĂŒstere Aussichten?“ habe ich in den Vorarlberger Nachrichten einen Komentar dazu verfasst. Hier zum Nachlesen:

Zu Weihnachten darf man sich etwas wĂŒnschen. Ein paar VorschlĂ€ge: Mehr SolidaritĂ€t mit den BedĂŒrftigen in unserer Gesellschaft! Energischer Kampf gegen die Klimakrise! Frieden im Nahen Osten und der Ukraine! Mehr VerstĂ€ndnis fĂŒr aus ihrer Heimat Vertriebene oder GeflĂŒchtete! Eine StĂ€rkung des europĂ€ischen Gedankens im neu zu wĂ€hlenden EU-Parlament! Alles unrealistisch?

Das zur Neige gehende Jahr hat uns in Italien Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d’Italia und in Argentinien den Rechtsextremen Javier Milei gebracht. In den Niederlanden wurde Geert Wilders Partei zur deutlich stĂ€rksten gewĂ€hlt. Letztere propagiert den EU Austritt, leugnet die Klimakrise und will Moscheen schließen. Wilders hat sogar eine „Kopflumpen-Steuer“ Steuer fĂŒr Muslimas gefordert. Und in den USA steht Donald Trump schon wieder ante portas. Wenn solche Leute regieren, ist wohl klar, dass extreme gesellschaftliche Auseinandersetzungen die Folge sein werden. Also nur dĂŒstere Aussichten fĂŒr nĂ€chstes Jahr?

All diese Entwicklungen sind Zeichen einer zunehmend unsolidarischen Gesellschaft in der gesamten westlichen Welt. Statt eines gemeinschaftlichen „Wir“ steht zunehmend nur noch das „Ich“ im Vordergrund. Gewerkschaften und die Kirchen schwĂ€cheln, der Egoismus triumphiert allerorten.

Und Österreich?

Damit sind wir schon in Österreich, wo die FPÖ derzeit von einem Umfragehoch zum nĂ€chsten stĂŒrmt. Und das mit einem Mann an der Spitze, der ein Pferdeentwurmungsmittel als Schutz vor Corona empfohlen hat, unabhĂ€ngigen Journalisten „Manieren beibringen“ will und als Innenminister den Verfassungsschutz derart unterminiert hat, dass trotz eindeutiger Hinweise ein mörderisches Attentat in Wien stattfinden konnte.

Kickl hat bei der „FPÖ-Österreich-Tour“ seine Fans eingeladen, sie mögen doch stumpfe Messer und Scheren mitbringen und diese dann vor der Veranstaltung von einem Profi-Schleifer gratis schĂ€rfen lassen. Ja lĂ€uten denn da nicht alle Alarmglocken? Ein Messer-Wetzen bei einer politischen Veranstaltung? Warum ist bei uns angesichts solch nahezu unverhĂŒllter Gewaltbereitschaft kaum mehr ein Aufschrei zu vernehmen?

Victor Klemperer, Holocaust-Überlebender und Linguist, hat in Bezug auf die Sprache der Nationalsozialisten gemeint: „Worte können sein wie winzige Arsendosen – sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bezeichnete diese Analyse als „vorweggenommenen Kommentar zu den giftigen Tönen, die derzeit aus dem Lager der FPÖ dringen“.

Es gibt aber auch Hoffnung: In Polen haben sich im letzten Jahr die konstruktiven und proeuropĂ€ischen KrĂ€fte gesammelt und einen ĂŒberraschenden Wahlsieg errungen. Das wĂ€re doch eine Ansage fĂŒr Österreich! Oder, um es mit dem Dichter Friedrich Hölderlin zu sagen: „Wo die Gefahr wĂ€chst, wĂ€chst das Rettende auch!“

WofĂŒr ich stehe?

Ich stehe fĂŒr soziale Gerechtigkeit, bessere Schulen, Klimaschutz, Antirassismus, Integration, Grundrechte und Tierschutz.

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Meine Arbeit

Hier veröffentliche politische Kommentare. Sie erfahren auch alles ĂŒber meine Arbeit aus meiner Zeit im Nationalrat (2008-2017): Reden, AntrĂ€ge und Ausschussarbeit.


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