Mehr direkte Demokratie?

2019-10-28T09:33:44+01:0028.10.19, 9:23 |Kategorien: Allgemein|Tags: |

In den „Vorarlberger Nachrichten“ bin ich in meiner Kolumne auf die Frage eingegangen, ob ein Mehr an direkter Demokratie auch ein Mehr an Demokratie bringt. So sicher, wie viele glauben, ist das nicht:

Bei den Nationalratswahlen lag die Wahlbeteiligung bei mageren 45,1 Prozent. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zeigte also kein Interesse. Wäre eine ausgebaute direkte Demokratie ein Mittel dagegen?

Nein! Denn die 45,1 Prozent beziehen sich nicht auf die Nationalratswahlen in Österreich, sondern auf jene im direktdemokratischen Musterland Schweiz. Bei unserem Nachbarn gibt es in Gemeinden, Kantonen und im Bund ständig Abstimmungen in Sachfragen – mit übrigens oft ebenfalls sehr geringer Beteiligung.

Mehr Volksabstimmungen?

Auch in Österreich existieren direktdemokratische Instrumente: Volksabstimmung, Volksbefragung und Volksbegehren. Überbordend genutzt wurden sie bislang nicht. Volksabstimmungen auf Bundesebene gab es erst zwei: für oder gegen Zwentendorf im Jahr 1978 und für oder gegen den Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1994.

Brauchen wir also mehr? Noch bei den Wahlen im Jahr 2017 überschlugen sich FPÖ und ÖVP mit Vorschlägen. Die FPÖ versprach, dass schon vier Prozent der Wahlberechtigten eine verbindliche Volksabstimmung verlangen können, die etwas vorsichtigere ÖVP verlangte immerhin zehn Prozent. Der „Kompromiss“ lag dann bei 14 Prozent und somit nicht unbedingt im mathematischen Mittel.

Ein Schelm, wer Böses denkt: Das Anti-Raucher-Volksbegehren wurde wenig später von 13,8 Prozent unterschrieben – und von beiden Parteien ignoriert. Allzu viel Vertrauen in das von Heinrich Heine einmal spöttisch als „großer Schlingel“ bezeichnete Volk hatten die Herren Kurz und Strache nach der Wahl offensichtlich nicht mehr.

„Schwarz-Weiß-Demokratie“

Natürlich braucht es mehr Einbindung der Bevölkerung in das politische Geschehen. Modelle wie der Vorarlberger „Bürgerrat“ weisen da in die richtige Richtung. Auch Abstimmungen im lokalen Bereich – wie demnächst in Ludesch und Altach – sind zu befürworten, weil es sich für beide Gemeinden um wegweisende Entscheidungen handelt und die Problemlagen klar sind.

Man sollte aber vorsichtig sein mit vorschnellen Forderungen nach einem Ausbau der direkten Demokratie. Anfang Oktober hat Alt-Bundespräsident Heinz Fischer in einer – von den Medien leider ignorierten – Diskussion am Juridicum in Wien gemeint, die „plebiszitäre Demokratie“ sei „eine Schwarz-Weiß-Demokratie“. Das Wesen einer Demokratie liege im Kompromiss, und es komme nur selten vor, dass man den Wahlberechtigten wie bei Zwentendorf und dem EU-Beitritt wirklich ein abstimmungsreifes Thema mit Ja oder Nein vorlegen können.

Bleibt noch das Argument, die direkte Demokratie sei ein Mittel gegen die Politikmüdigkeit. Immerhin gab es auch ja bei uns zuletzt bei der Nationalratswahl im September einen Rückgang bei der Wahlbeteiligung und das zweitschlechteste Ergebnis seit 1945. Sie lag aber nicht wie in der Schweiz bei 45,1 Prozent, sondern immer noch bei 75,1 Prozent. Gar nicht so schlecht.