Charlie-Hebdo-ScreenshotNun ist es also erschienen, das „journal des survivants“, die Nummer der Überlebenden von Charlie Hebdo. Was drinnen steht, interessiert hauptsächlich insofern, wie provokant die einzelnen Karikaturen geraten sind. Denn, es geht ja angeblich um die Verteidigung der „europäischen Werte“. Noch nie in den vergangen Jahrzehnten wurde die Aufklärung so oft zitiert wie in der letzten Woche – auch hierzulande. Gerade in Österreich, wo aufklärerische Ideen von Oben verordnet wurden. Aber auch das nur ein bisschen, um zu verhindern, dass es zu echten Reformen kommt. Österreich, das Land, wo alle revolutionären Versuche erstickt worden sind und am 1. Jänner im Musikverein die noble ZuhörerInnenschaft zu Ehren von Feldmarschall Radetzky klatscht, der wesentlich an der Niederschlagung der italienischen Revolutionsbewegung 1848 beteiligt war. Österreich das Land, in dem jeglicher Versuch einer sauberen Trennung von Kirche und Staat als Fundamentalangriff auf die ach so hehren christlichen Werte niedergemacht wurde. Blasphemisch ist real gesehen daher, wenn etwa Erwin Pröll am Ballhausplatz erste Reihe fußfrei sein „Je suis Charlie“ daherhaucht und gleichzeitig das „cuius regio, eius religio“ des Augsburger Religionsfriedens als Maxime seines Herrschens in den niederösterreichischen Landen hochhält und schon einmal eine Kommunionsvorbereitung zum Unterrichtsprinzip erhebt, weil es ja, um „unsere“ Werte geht.
Frankreich hat wenigstens eine Geschichte vorzuweisen, auf die es sich heute berufen kann, auch wenn, wie der Historiker und Diskursanalytiker Achim Landwehr in einem lehrreichen Blogbeitragfesthält, das „gesamte aufklärerische Projekt“ mit Widersprüchen behaftet war, da es von der hochgelobten Toleranz die nicht christlich geprägten Religionen, die Frauen und die Besitzlosen aussparte.
Und dann kommt Außenminister Kurz aus Frankreich retour und fordert mehr Politische Bildung im Integrationsbereich und ein Pflichtfach in den Schulen, denn, ach wie überraschend, auch ihm geht es natürlich nur um die europäischen Werte, die dann aber schon mal populistisch zu den österreichischen klassifiziert werden. Er muss in Paris jedoch der Vergesslichkeit anheim gefallen sein: Im November noch wurde der Grüne Antrag für Politische Bildung als Pflichtfach auf Antrag seiner ÖVP vertagt, was in der Realpolitik niedergestimmt bedeutet. Den Antrag dafür brachte der ÖVP-Abgeordnete El Habbassi ein. Und wer das Absurde liebt, bitte hier nachlesen.
Ihnen allen sei das Statement des Chefredakteurs von Charlie Hebdo, Gérard Biard, hinter die Ohren geschrieben: „On défend l’humour, on défend la liberté de l’éxpression, mais on défend par dessus tout la laïcité (…) parçeque sans elle la libérté, l’égalité, la fraternité n’est pas possible.“ (Wir verteidigen den Humor, wir verteidigen die Meinungsfreiheit, aber wir verteidigen über allem die Laizität, denn ohne sie ist Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht möglich.)
Auch in den nächsten Wochen und Monaten, wenn die heuchlerische „Je suis Charlie“-Karawane längst weitergezogen sein wird, wird Charlie Hebdo wieder erscheinen: so frech, so ungeniert, wie es hierzulande leider völlig undenkbar wäre.
(Bild: Screenshot http://www.charliehebdo.fr/index.html)